Die Projektentwicklung hat ein aufwändiges naturschutzfachliches Gutachten in Auftrag gegeben, wie es von den gesetzlichen Vorgaben und Verwaltungsvorschriften verlangt wird. Nach etwa ein bis zwei Jahren liegt das Gutachten vor. Es wird vom Auftraggeber gelesen und löst dort Freude aus, denn wirklich projektgefährdende Probleme mit dem Naturschutz hat das Gutachterbüro nicht festgestellt. Die zuständige Naturschutzdienststelle, in Niedersachsen z. B. der Landkreis als UNB, erhält das Gutachten und nimmt es zunächst zu den Akten. Spätestens im Genehmigungsverfahren wird sich die Naturschutzbehörde damit zu befassen haben. Jetzt aber hat sie anderes zu tun, denn Arbeitsmangel herrscht dort wahrlich nicht. Zudem wurde sie auch nicht von der Windfirma um eine Voreinschätzung gebeten.

Ein unerwartetes Fiasko

Später wird das Gutachten als Teil des Antrags oder des Antragsentwurfs in die gesetzliche Genehmigungsprozedur nach UVPG, BImSchG etc. eingefügt und plötzlich erlebt man ein unerwartetes Fiasko: Unter Verweis auf das Gutachten macht die Naturschutzbehörde schwerwiegende Be-denken gegen das Projekt geltend. Woran kann das liegen?

Das Gutachten enthält Textpassagen, die beim Lesen durch assoziative Denkprozesse Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit erwecken und dazu as Gutachten enthält Textpassagen, die beim Lesen durch assoziative Denkprozesse Zweifel an der Genehmigungsfähigkeit erwecken und dazu eingestellten Behörde nun gegen das Projekt verwendet wird.

Beispiele für derartige Textpassagen sind:

  • „Ein Vorkommen des Rotmilans konnte nicht ermittelt werden.“

Es stellt sich die Frage, warum das Vorkommen nicht ermittelt werden konnte. Die gewählte Formulierung gibt einen Hinweis darauf, dass das Gutachterteam von einem unerkannten Vorkommen ausgeht, welches vorhanden ist, aber nicht festgestellt werden konnte. Warum schreibt das Gutachterbüro nicht als Ergebnis seiner Ermittlungen, dass der Rotmilan im relevanten Raum nicht vorkommt?

  • „Der Schwarzstorch konnte nicht beobachtet werden. Aber aufgrund der Habitatstruktur ist nicht auszuschließen, dass er im benachbarten Wald-stück brütet.“

Wieder kommt das Wort „konnte“ vor und schafft Probleme. Zusätzlich spielt in diesem Satz die Differenzierung zwischen dem bestimmten und dem unbestimmten Artikel eine versteckte, aber tragende Rolle. Es geht im ersten Satz um den Schwarzstorch, nicht um einen Schwarzstorch. Er scheint demnach bekannt zu sein (obwohl er nie gesehen wurde). Und auch im Folgesatz erscheint wieder die auf un-bewiesene Tatsachen hinweisende Formulierung: … dass er … brütet. Für die Naturschutzbehörde erhärtet sich, vor allem unter dem Aspekt einer Worst-Case-Betrachtung, dass hier etwas nicht stimmt, dass bedrohte Vogelarten zwar vorkommen, aber nur aufgrund widriger Umstände nicht festgestellt wurden – ein eher gefühlter, als erkannter Sachverhalt, der zur negativen Beurteilung führt.

Weitere Formulierungsbeispiele machen noch deutlicher, dass sie nicht dem eigentlichen Zweck eines Fachgutachtens, nämlich der Erkenntnis-findung, sondern der Irreführung dienen:

  • „Während der Horstsuche im Winter konnten Horste im engeren Umkreis gefunden werden, von denen davon auszugehen ist, dass zumindest einer vom Rotmilan genutzt wird.“

Nichts ist bewiesen, nichts gutachterlich festgestellt.

  • „Der in der Höhe kreisende Rotmilan gibt Anlass zur gutachtlichen An-nahme, dass sich sein Bruthorst in der dicht bewachsenen Fichtenfläche befindet. Dafür sprechen die Erfahrung des Kartierers und Hinweise aus der Bevölkerung.“

Reine Vermutungen im Erfassungsgutachten? Hinweise aus einer häufig die Windkraft ablehnenden benachbarten Bevölkerung? Beides hat in naturwissenschaftlichen Gutachten nichts zu suchen.

  • „Wegen der dichten Bestockung wurde auf eine gezielte Horstsuche verzichtet, aber auch, weil der Milan in seinem Brutgeschäft nicht gestört werden sollte.“

Die Aussage ist: Horste sind wohl da – aber nicht ermittelt worden. Der Milan wird dann wohl auch da sein – wurde aber aus purer Rücksicht auf ihn nicht kartiert.

Deutlich wird, dass solche Gutachten der Projektentwicklung im doppelten Sinn teuer zu stehen kommen. Erstens kosten sie viel Geld und zweitens bringen sie die Projektplanung zu Fall. Für die Verhinderung eines Windkraftprojektes reicht es völlig aus, als Behörde Gutachten vorgelegt zu bekommen, die Zweifel beim Lesen aufkommen und Fragen unbeantwortet lassen. Nicht zuletzt wird damit die Behörde zur Anwendung der Einschätzungsprärogative gegen das Projekt ermutigt.

Die naturschutzfachliche Begutachtung verläuft häufig in zwei, zuweilen auch in drei Schritten (die Schritte 2 und 3 werden häufig in einem Auf-trag erledigt):

Schritt 1: Bestandserfassung
Schritt 2: Bewertung (artenschutzrechtliche Prüfung)
Schritt 3: Landschaftspflegerischer Begleitplan, Abarbeitung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung (Kompensationsmaßnahmen), CEF-Maßnahmenplanung etc.

Beim ersten gutachtlichen Schritt, auf den wir uns hier konzentrieren, handelt es sich um die naturschutzfachliche Bestandserfassung. Es ist notwendig, das Gutachterbüro vertraglich zu verpflichten, ein reines Gutachten zu erstellen, also eine Inventarisierung ausgewählter Arten.

Das bedeutet im Klartext: Das Gutachterteam rückt aus, ermittelt aufgrund der jeweiligen Ländervorgaben den Bestand und dokumentiert ihn. Mehr nicht – auf keinen Fall die üblichen Gefahrenpotentialdarstellungen, keine Interpretationen des § 44 BNatSchG und keine avifaunistischen Darstellungen, die über die Bestandsbeschreibung hinaus gehen! Dass damit die Gutachten drastisch an Seitenanzahl verlieren, ist ein sehr positiver Nebeneffekt.

Absurde Inventarisierungsberichte

Was die Projektentwicklung in diesem ersten Schritt benötigt, ist vielleicht an einem Beispiel aus dem Handel deutlich zu machen:

In einer Lagerhalle soll der dortige Warenbestand inventarisiert werden. Das Inventarisierungsteam geht in die Halle und ermittelt, zum Beispiel geordnet nach Ware und Regalstandort, den Bestand. Niemand käme auf die Idee, im Inventarisierungsbericht auf potentielle Gefahren in schneereichen Wintern durch überhöhte Schneelasten auf dem Dach hinzuwei-sen, auch nicht darauf, dass bei falscher Handhabung der Gabelstapler umkippen kann oder dass aus welchen Gründen auch immer schlimms-tenfalls die Regale zusammenbrechen und Menschen gefährden können. Und: Dass man die tiefen Regale nur ein Stück weit von vorne einsehen konnte und deswegen davon ausgehen muss, dass sich im hinteren Teil weitere Waren befinden, wäre eine Aussage, die die gesamte Inventari-sierung wertlos machen würde.
Müsste das, was für die Inventarisierung im Handel undenkbar ist, nicht genauso für ökologische Inventarisierungen undenkbar sein?

Tipps für die Praxis

Wie könnte man dieses Problem zumindest ein Stück weit angehen?

  1. Das Gutachterbüro wird durch einen ausführlichen Vertrag verpflich-tet, nicht mehr und nicht weniger als eine Erfassung (Inventarisierung) bestimmter Arten gemäß den Regeln des jeweiligen Bundeslandes vor-zunehmen. Der Vertrag, der ein Tun, aber auch ein Unterlassen (siehe Nr. 4 und 5) regelt, sollte neben dem Inhalt auch den Ablauf
    der Begutachtung im Einzelnen darstellen.
  2. Die Erstellung des Gutachtens wird vom Auftraggeber intensiv begleitet. Regelmäßige Besprechungen/Videokonferenzen (jour fixe) mit Berichterstattung durch den Gutachter werden fest vereinbart.
  3. Im Hinblick auf die Endfassung wird vertraglich geregelt, dass in einer redaktionellen Schlusskonferenz Einigkeit über den Text hergestellt wird.
  4. Besprechungen des Gutachterteams mit der Naturschutzverwaltung und/oder den Naturschutzverbänden finden nur gemeinsam mit dem Auftraggeber statt.
  5. Vorabzüge des Gutachtens oder Zwischenberichte werden vom Gut-achter nicht an Behörden und Verbände übermittelt.
  6. Vor Fassung des endgültigen Textes wird das Gutachten von einer sach-kundigen, aber neutralen Person gegengelesen, um möglicherweise immer noch vorhandene textliche und sonstige Schwachstellen zu finden und zu beseitigen. Es reicht nicht, diese Arbeit durch jemanden aus der Projektentwicklung durchführen zu lassen, da diese Person gerade wegen ihrer Projektbeteiligung potentielle Fehler im Text- und Gutachtensystem schwerer erkennt als Außenstehende (Prinzip der inhaltlichen Befangenheit).
  7. Vertraglich wird geregelt, dass die Zahlung der letzten (nicht geringen) Honorarrate an den Gutachter erst nach Annahme des Gutachtens durch den Auftraggeber erfolgt, nicht schon nach Abgabe des Gutachtens.

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