Einführung
Im novellierten Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) wurden für die Zulassung von Windenergieanlagen (WEA) die Zumutbarkeitsschwelle für Schutzmaßnahmen, der Basisschutz in der Ausnahme und die Zahlungen in ein Artenhilfsprogramm neu eingeführt. Die Berechnungen dazu erfolgen nach Anlage 2 BNatSchG. Um die Anwendung für Behörden und Projektierer zu erleichtern, hat die FA Wind ein auf Excel basierendes Tool erstellt und veröffentlicht.
Zumutbarkeitsschwelle
Ein artenschutzrechtlicher Konflikt für eine der 15 Vogelarten, die nach BNatSchG als kollisionsgefährdet gelten (siehe Anlage 1 Abschnitt 1), entsteht, sobald eine WEA im Nahbereich eines Brutplatzes einer der gelisteten Arten geplant wird. Außerdem liegt ein solcher Konflikt vor, wenn ein Überschreiten der Signifikanzschwelle im zentralen Prüfbereich nicht verneint werden kann. Des Weiteren kann die Behörde ein Über-schreiten im erweiterten Prüfbereich feststellen.
Ein artenschutzrechtlicher Konflikt kann unter anderem mit Abschaltmaß-nahmen bewältigt werden. In Anlage 1 Abschnitt 2 BNatschG werden hier Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen, phänologiebedingte Abschaltungen und bei Einsatz von Antikollisionssystemen (AKS) genannt. Soll eine solche Maßnahme in einer Genehmigung zur Auflage werden, ist vorab zu prüfen, ob nicht die in § 45b Abs. 6 genannte Zumutbarkeitsschwelle überschritten wird.
Die Schwelle für das Überschreiten wird mit acht Prozent des zu erwartenden Jahresertrags der WEA für windhöffige Standorte (Gütefaktor mit 90 % oder mehr) und mit sechs Prozent für Regelstandorte (Gütefaktor weniger als 90 %) festgelegt. Auf Wunsch des Vorhabenträgers ist eine Überschreitung der Schwellenwerte zulässig. Dem Gesetzeswortlaut nach sind die Schwellenwerte zu beachten, wenn eine Abschaltmaßnahme zur Auflage wird. In diesen Fällen werden dann auch notwendige Schutzmaßnahmen für andere Arten in die Berechnung mit einbezogen. Dies gilt allerdings nicht für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen aus der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung.
Da die Bedingungen und die Eingangsparameter sich in einem Windpark für jede Anlage anders darstellen können, ist die Berechnung für jede einzelne von einem artenschutzrechtlichen Konflikt betroffene WEA separat durchzuführen.
Basisschutz
Wird eine artenschutzrechtliche Ausnahme erteilt, so sind Schutzmaßnahmen nur noch im Rahmen des Basisschutzes (§ 45b Abs. 9) zulässig, wobei die Schwelle zwei Prozent unterhalb der Zumutbarkeitsschwelle liegt. Dies bedeutet, dass die Schutzmaßnahmen zu reduzieren sind. Zusätzlich sind in der Ausnahme Zahlungen in ein AHP zu leisten (§ 45b Abs. 2).
Das BNatSchG verweist zur Berechnung des Gütefaktors sowohl für die Zumutbarkeitsschelle als auch für den Basisschutz auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2023), sodass sie nach den dort in Anlage 2 angegebenen Bestimmungen zu erfolgen hat. Dies bedeutet, dass hier neben anderen erforderlichen Abschaltungen (Schall/Schattenwurf) die naturschutzfachlich begründeten Abschaltungen mit einfließen. Werden die Maßnahmen im Laufe des Genehmigungsfahrens abgewandelt, kann dies zu einer Veränderung des Gütefaktors führen. Das Gleiche gilt für die Bestimmung der zu erwartenden Vollbenutzungsstunden, die ebenfalls bei der Berechnung zu berücksichtigen sind; so kann es also sein, dass in einem Verfahren mehrfach die Erstellung eines Ertragsgutachtens erforderlich ist. Es ist daher sinnvoll, bereits im Vorfeld eine Einigung zwischen Vorhabenträger und Behörde auf die einzustellenden Maßnahmen und ggf. auch die reduzierten Maßnahmen im Basisschutz zu erzielen.
Prozentualer Anteil der Abschaltungen
Unabhängig von den Eigenschaften der jeweiligen WEA können Aussagen zum prozentualen Anteil der Abschaltungen getroffen werden, da sich die in der Formel enthaltenen Anlagenparameter hier herauskürzen lassen.
So ist das Erreichen der angegebenen Schwellenwerte für die Zumutbarkeit bzw. den Basisschutz bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen abhängig von der Anzahl der Flurstücke und deren Bewirtschaftung im Umkreis von 250 m um die Anlage.
In Tabelle 1 sind die Ergebnisse entsprechender Berechnungen dargestellt. Aufgezeigt wird, wie viele Grünland- bzw. Ackerflurstücke jeweils im Umkreis von 250 m um den Turmmittelpunkt einer Anlage liegen können, ohne dass der jeweilige Schwellenwert überschritten wird. Vorausgesetzt wurde jeweils eine einheitliche Bewirtschaftung der Flurstücke. Zudem werden die möglichen Tage phänologiebedingter Abschaltungen abgebildet. Für die Berechnung wird jeweils nur von einer durchzuführenden Maßnahme ausgegangen. Für Abschaltungen zum Schutz von Fledermäusen wurde der pauschal ansetzbare Wert von 2,5 % eingesetzt. Investitionskosten in weitere Schutzmaßnahmen spielen zwar nicht in die Zulässigkeit der Abschaltmaßnahmen mit hinein, sind jedoch bei der Gesamtbetrachtung der Zulässigkeit von Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen. Daher werden für diese Betrachtung Schutzmaßnahmen innerhalb des festgelegten Selbstbehalts von 17.000 EUR pro MW Anlagenleistung angenommen.
Im Ergebnis zeigt sich, dass je nach Standort die Zulässigkeit von Abschaltmaßnahmen stark begrenzt ist. Insbesondere bei einer kleinteiligen Flur mit Grünlandnutzung ist damit zu rechnen, dass die Zumutbarkeits-schwelle überschritten wird.
An Standorten, die als für den Artenschutz „besonders konfliktträchtig“ gelten, ist bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen anstatt einer eintägigen eine zweitägige Abschaltung erforderlich. Die Verdopp-lung des Zeitraums führt dabei zu einer Halbierung der Anzahl der Flur-stücke, die bis zum Erreichen der Schwellenwerte betroffen sein dürfen.
Phänologiebedingte Abschaltungen werden durch die neuen Regelungen stark eingeschränkt. In Anlage 1 Abschnitt 2 wird für diese Abschaltungen ein Zeitraum von „vier oder bis zu sechs Wochen innerhalb des Zeitraums vom 1. März bis zum 31. August“ genannt. Ohne Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle kann an einem Regelfallstandort nicht einmal die genannte Untergrenze festgelegt werden, und selbst an einem windhöffigen Standort werden keine fünf Wochen möglich.
Weitere mögliche Schutzmaßnahmen
Die in Anlage 1 Abschnitt 2 aufgeführten Maßnahmen sind nicht ab-schließend. Betrifft dies nicht die Abschaltauflagen, sondern die sonstigen Schutzmaßnahmen, fließen diese bei den Investitionskosten mit ein. Berücksichtigung finden die Investitionskosten bei den Berechnungen der monetären Zumutbarkeit der Maßnahmen und den monetären Kosten der Maßnahmen im Basisschutz.
Sollen jedoch weitere Maßnahmen beauflagt werden, die die Abschaltungen von WEA betreffen, so ist der Umgang damit noch ungeklärt, denn die Formeln in Abschnitt 2 sehen keine weiteren Abschaltmaßnahmen vor. Allerdings werden durchaus weitere Maßnahmen für Bewirtschaf-tungsereignisse vorgesehen; so nennt beispielweise die artenschutzrecht-liche Arbeits- und Beurteilungshilfe aus Mecklenburg-Vorpommern als zusätzliche Maßnahmen das Mulchen, Grubbern und Eggen.
Klar ist, dass zusätzliche Maßnahmen schon bei einer geringeren Anzahl an betroffenen Flurstücken im 250-Meter-Radius zum Erreichen der Zumutbarkeitsschwelle führen. So würde bei einer zusätzlichen Bewirt-schaftungsmaßnahme, die in dem relevanten Zeitraum des Jahres einmal durchgeführt wird, die Zumutbarkeitsschwelle bei mehr als acht Flur-stücken überschritten. Wären zwei Ereignisse pro Saison einzurechnen, würde die Grenze bei mehr als sechs Flurstücken gerissen. Es wird sich zeigen, wie die Länder beim Überarbeiten der Länderleitfänden mit die-ser Problematik umgehen. Die Formel im BNatSchG eröffnet hier keinen Spielraum.
Antikollisionssysteme
Inwieweit AKS zukünftig bei der Anlagengenehmigung eine Rolle spielen können, ist wesentlich vom Standort abhängig. Bei windhöffigen Standorten können die Systeme bei einer Einzelanlage im Rahmen der Zumut-barkeitsschwelle zulässig sein. Für einen Regelfallstandort sind mehrere Parameter zu betrachten.
Da für ein AKS eine Abschaltzeit von drei Prozent angerechnet wird, hängt dessen Zulässigkeit u. a. vom Umgang mit den Fledermausabschaltungen ab. Wird hier der Pauschalwert von 2,5 % angesetzt, liegt zumindest der prozentuale Anteil der Abschaltungen unterhalb der Sechs-Prozent- Schwelle. Ein gutachterlich belegtes Anheben dieser Abschaltungen auf drei Prozent oder mehr führt dagegen zu einem Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle.
Die Investitionskosten für ein AKS sind nicht unerheblich und werden bei der monetären Zumutbarkeit einberechnet. Allerdings fließen hier nur die Kosten oberhalb des Selbstbehaltes ein, der bei einer Anlage mit sechs MW immerhin bei 102.000 EUR liegt. Je nach Kosten für ein solches System und Güte des Standortes kann es dennoch sein, dass die Anwendung eines Antikollisionssystems nur bei artenschutzrechtlicher Betrof-fenheit mehrerer WEA im Rahmen der Zumutbarkeit liegt. Voraussetzung ist, diese WEA können durch ein einziges System ausreichend abgedeckt und die Kosten daher aufgeteilt werden.
Fazit
Im novellierten BNatSchG wurde mit der Zumutbarkeitsschwelle eine klare Grenze für artenschutzrechtliche Abschaltmaßnahmen eingeführt. Hinsichtlich der Abschaltungen bei landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsereignissen zeigt sich, dass eine starke Abhängigkeit von der Anzahl der betroffenen Flurstücke im Anlagenumfeld besteht. Stark beschränkt werden mit den Regelungen im BNatSchG die Abschaltzeiten für phäno-logiebedingte Abschaltungen.
Inwieweit AKS auf einem Regelfallstandort Anwendung finden, wird sich zeigen. Absehbar ist jedoch, dass diese zunächst – in Abhängigkeit von den Systemkosten und der Leistung der WEA – nur zum Einsatz kommen, wenn mehrere WEA gleichzeitig abgedeckt werden können.