Bauleitplanung

Die wohl bedeutendste Entscheidung des Jahres 2020 für die Windkraftbranche wurde mit Urteil vom 29.10.2020 durch das Bundesverwaltungsgericht [Az. 4 CN 2/19] gefasst und klärt nun abschließend, welche Anforderungen an die Bekanntmachung der Genehmigung gem. § 6 Abs. 5 BauGB von Konzentrationsplanungen für Windkraftanlagen durch Flächennutzungspläne mit den Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB zu stellen sind. Danach müssen diese hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen, dass sich ihr Geltungsbereich (Ausschlusswirkung) auf den gesamten gemeindlichen Außenbereich erstreckt.

Ein Hinweis allein auf die dargestellten Sonderbauflächen (Positivwirkung) genügt nicht. Diesen Anforderungen werden ältere Bekanntmachungen oft nicht gerecht. Danach sind Altpläne, deren Rügefrist aus § 215 Abs. 1 BauGB eigentlich bereits verstrichen ist, vielfach noch immer angreifbar. Sie können nicht als wirksames Hindernis von Windkraftvorhaben außerhalb von Konzentrationsflächen dienen. Die Rechtsprechung zwingt solche Gemeinden mit unzureichenden Planungen und fehlerhaften Bekanntmachungen dazu, erneut die Planung aufzunehmen. Das lässt eine gewisse Planungsdynamik seitens der Gemeinde für die Windbranche in den kommenden Jahren erwarten.

Im Zusammenhang ordnungsgemäßer Bekanntmachungen und deren Anforderungen hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 26.10.2020 [Az. 10 D 66/18.NE] aufgezeigt: Der in der Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung eines Planentwurfs enthaltene Zusatz: Stellungnahmen zu der Planung können schriftlich oder zur Niederschrift abgegeben werden, entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben und sei nach heutigem Verständnis geeignet, einzelne Bürger von einer Stellungnahme abzuhalten. Unter Berücksichtigung der heute gebräuchlichen Kommunikationsmittel sei eine Abgabe via E-Mail zu ermöglichen und in die Bekanntmachung aufzunehmen. Dem trat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 12.01.2021 [Az. 8 C 10362/20] allerdings ausdrücklich entgegen. Sicherlich eine Entwicklung, die es verdient, weiter beobachtet zu werden. Im Zweifelsfall dürfte die erweiterte Möglichkeit, via E-Mail Stellungnahmen abzugeben, unschädlich und empfehlenswert sein.

Höhenbeschränkungen in dargestellten Sonderbauflächen sind immer wieder Anlass für Auseinandersetzungen zwischen Vorhabenträgern und Genehmigungsbehörden. Oft werden Vorhaben durch zu einschneidende Höhenbeschränkungen verhindert. Durch die letzten EEG-Fassungen sind jedoch gewisse Höhen wirtschaftlich erforderlich. Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Münster mit Urteil vom 02.04.2020 [Az. 10 K 4573/17] entschieden, dass eine dargestellte Höhenbeschränkung einem privilegierten Außenbereichsvorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB entgegenstehen könne. Dieser öffentliche Belang der Höhenbeschränkung müsse sich allerdings innerhalb einer nachvollziehenden Abwägung der widerstreitenden Interessen erst bewähren. Danach können etwaige Genehmigungsbehörden Höhenbeschränkungen mit Vorhabeninteressen abwägen, sie sind an die Darstellungen in Flächennutzungsplänen nicht uneingeschränkt gebunden.

Höhenbeschränkungen in Windkraftkonzentrationszonen oder auch regionalplanerischen Vorranggebieten sind auch dahingehend zu bewerten, ob der Windkraft nach vorgenommener Ausschlussplanung substanzieller Raum im Plangebiet eingeräumt wird. Nach der Rechtsprechung ist die Bewertung des substanziellen Raums nicht in eine Formel einzukleiden, sondern vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls zu betrachten. Mit Urteil vom 07.02.2020 [Az. 12 KN 75/18] hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht bei der Überprüfung eines Regionalplans derweil ausgeführt, dass die Darstellung von nur 0,48 % der Landkreisfläche sehr niedrig erscheine und
dieser Wert schon für sich indizierend auf eine Verhinderungsplanung hindeute. Eine andere Sichtweise lässt sich auch nicht mit den neugefassten Ausbauzielen in Einklang bringen und korreliert nicht mit den bekannt gewordenen Zielvorgaben der niedersächsischen Landesregierung, ab dem Jahre 2030 2,1 % der Landesfläche für die Windenergienutzung zur Verfügung zu stellen.

Abwehransprüche

Rechtsklarheit wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 25.06.2020 [Az. 4 C 3/19] auch in Konstellationen
gebracht, in denen immissionsschutzrechtliche Vorbescheide und Vollgenehmigungen für Windkraftanlagen am selben Vorhabenstandort in Konkurrenz zueinander stehen. Das Gericht stellt in seiner Entscheidung heraus, dass Vorbescheid und Vollgenehmigung sich in Konkurrenzsituationen gleichwertig gegenüberstehen und einzig die frühere ordnungsgemäße Antragsstellung eine überwiegende, durchsetzbare Rechtsposition begründet (Prioritätsprinzip). Ansonsten würde das Rechtsinstitut des Vorbescheids durch etwaige nachträgliche konkurrierende Vollgenehmigungen unzulässig entwertet werden.

Immer wieder fühlen sich angrenzende Nachbargemeinden zu Windkraftvorhaben und -planungen in ihrer eigenen Planungshoheit betroffen und versuchen diese zu verhindern. Die Anforderungen für Nachbargemeinden, überhaupt eine Klage- oder Antragsbefugnis begründen zu können, sind allerdings hoch: Sie setzen einen qualifizierten und hinreichend konkreten Eingriff in ihre eigenen städtebaulichen Belange voraus. Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15.07.2020 [Az. 15 N 18.2110] lässt sich eine Befugnis beispielsweise nicht per se aus dem interkommunalen Abstimmungsgebot nach § 2 Abs. 2 BauGB herleiten. Überdies könne die Gemeinde sich nicht als Sachwalterin privater Belange ihrer Bürger gerieren und unter anderem sich nicht auf die Verletzung der bayrischen Abstandsregelung (10 H) berufen.

Naturschutz

Das nach § 44 BNatSchG verbriefte Tötungsverbot von besonders geschützten Arten stellt auch nach der hier ebenfalls gesetzlich implementierten Signifikanzschwelle nach wie vor eines der größten Ausbauhemmnisse der Windenergie in Deutschland dar. Das Tötungsverbot wird in diesem Zusammenhang aufgrund seines Individuenbezugs und der kaum zu bestimmenden Signifikanzschwelle regelmäßig als verwirklicht angenommen. Als vermeintlich probates Mittel gegenüber diesem womöglich überbordenden Artenschutz fand und findet sich in vielen Genehmigungen eine Ausnahme vom vorgenannten Tötungsverbot nach § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG.

Gewichtige Stimmen weisen seit den Anfangstagen so gefasster Ausnahmen vom Tötungsverbot auf eine mögliche Europarechtsverletzung hin. Diese Stimmen finden nunmehr mit (noch nicht rechtskräftigem) Urteil des VG Gießen vom 22.01.2020 [Az. 1 K 6019/18.GI] eine erste Stütze in der Rechtsprechung. Demzufolge sei der Ausnahmetatbestand in Bezug auf europäische Vogelarten nicht anwendbar, da dies einen Verstoß gegen die vorrangigen Bestimmungen der europäischen Vogelschutzrichtlinie zur Folge hätte. Sofern sich diese Auffassung durchsetzen sollte, besteht das Dilemma, dass das Tötungsverbot nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH und der nationalen Gerichte sehr schnell verwirklicht ist, gleichzeitig aber eine Ausnahme nicht europarechtskonform gefasst werden kann. Im Ergebnis wird eine Bewältigung des aufgebauten Spannungsfelds zwischen Windkraft und Artenschutz nur durch das Abrücken vom Individuenverständnis oder durch eine Begrenzung auf vorsätzliche Verwirklichung des Tötungsverbots erlangt werden können.

Im Zusammenhang mit dieser Ausnahme vom Tötungsverbot nach § 45 Abs. 7 Nr. 5 BNatSchG hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 26.02.2020 [Az. 12 LB 157/18] entschieden, dass bei Fassung einer solchen Ausnahme immer erhebliche Umweltauswirkungen i. S. d. UVP rechtlichen Vorprüfung gegeben sind. Danach ist immer eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, sobald eine Ausnahme vom Tötungsverbot erteilt wurde. Außerdem soll dies gelten, wenn durch den Anlagenbetrieb Immissionsrichtwerte bis zu 1 dB(A) überschritten werden und nur nach Ziff. 3.2.1 Abs. 3 TA-Lärm sichergestellt ist, dass keine darüber hinausgehende Überschreitung auftritt. Dahingehend stellte das Gericht weiter fest, dass für die Bestimmung der Vorbelastung eines Immissionsortes, hier also der TA-Lärm unterliegen den Anlagen, grundsätzlich eine sogenannte Eigenbeschallung nach dem maßgeblichen Wortlaut der Regelung in Ziff. 2.4 TALärm mit in die Gesamtbelastung einzurechnen sei. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Durch das Bundesverwaltungsgericht wurde die Revision zugelassen.

Der Vogelschutz stand auch im Zentrum eines Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14.01.2021 [Az. 9 B 2223/20], wobei das Gericht die mögliche Rechtswidrigkeit der dort zu beurteilenden Genehmigung einzig auf Grundlage des Habitatschutzes begründet und diesen mit dem Artenschutz vermengt. So sei keine hinreichende gutachterliche Untersuchung für einen in ca. 1.300 m entfernten Rotmilanhorst, der sich innerhalb eines FFH-Gebietes befinde, durchgeführt worden. Aus dieser mangelhaften Begutachtung leitet das Gericht sodann eine Verletzung des Gebietsschutzes ab und stellt für sich klar, dass der mit Datum vom 01.01.2021 neu in Kraft getretene hessische Windenergieerlass, der einen Mindestabstand von 1.000 m zu Rotmilanhorsten empfiehlt, gegenüber Gerichten keine Bindungswirkung entfalte und nicht maßgeblich durchgreife. Eine durchaus fragwürdige Entscheidung, die den hessischen Windenergieerlass lapidar infrage stellt und die Abgrenzung zwischen Arten- und Habitatschutz nicht hinreichend würdigt.

Genehmigungsverfahren

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Drittanfechtung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist mit der bisherigen Rechtsprechung – unter Zugrundelegung der Dynamik des Immissions schutzes – die letzte Behördenentscheidung und, falls über den Drittwiderspruch noch nicht entschieden worden ist, der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht (vgl. VG Koblenz, Urt. v. 03.07.2020 [Az. 4 K 907/17.KO]). Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat nunmehr mit Urteil vom 05.10.2020 ausgeführt, dass im Falle einer Drittanfechtung grundsätzlich der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich sei. Nachträgliche Änderungen zu Lasten des Anlagenbetreibers sollen danach außer Acht bleiben, ihm gegenüber günstige Umstände hingegen Berücksichtigung finden (so u.a. auch Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urt. vom 06.10.2020 [1 A 11357/19] und Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschl. vom 14.01.2021 [9 B 2223/20]). Ob diese Annahme eine verallgemeinerungsfähige Aussage dahingehend beinhaltet, dass immer auf den Genehmigungszeitpunkt abzustellen ist oder möglicherweise die letzte Behördenentscheidung der Widerspruchsbescheid sein kann, ist offen und bedarf einer abschließenden Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht.

Weiter hat sich das OVG intensiv mit dem „neu“ gefassten Begriff Windfarm des § 2 Abs. 5 UVPG beschäftigt und maßgeblich herausgearbeitet, dass der in der Norm vorausgesetzte funktionale Zusammenhang im Lichte des § 10 Abs. 4 UVPG (kumulierende Vorhaben) zu bestimmen sei. Danach
sei es für eine Zusammenrechnung nicht ausreichend, wenn verschiedene Vorhaben lediglich beziehungslos und gleichsam zufällig nebeneinander verwirklicht werden. Vielmehr sei für die Annahme ein Mindestmaß an organisatorischer, betriebswirtschaftlicher oder steuerlicher Koordination für die Beurteilung maßgeblich. Danach zeichnet sich mit § 2 Abs. 5 UVP eine deutliche Abkehr von dem vormals sehr weitgefassten Windfarmbegriff ab, der maßgebliche Auswirkungen auf das Prüfprogramm der vorgelagerten Umweltprüfungen und auf die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren selbst hat.

In einem anderen Zusammenhang hatte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27.08.2020 [Az. 4 C 1/19] darüber zu befinden, welcher Zeitpunkt für die Rechtzeitigkeit der Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 S. 2 BauGB maßgeblich ist. Mit dem Gericht kommt es einzig auf den Zeitpunkt des Zugangs der gemeindlichen Entscheidung an. Ferner hindere die Einvernehmensfiktion oder eine etwaige Erteilung des Einvernehmens die Gemeinde nicht daran, sich nachträglich im Wege der Anfechtungsklage auf Umstände zu berufen, die erst nach Eintritt der Fiktion/Erteilung und vor Erteilung der Genehmigung eingetreten seien.




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