Noch sind alle neuen Ideen in der Windenergie-Technik zu klein oder zu teuer, um die Dominanz des Horizontal achsen-Dreiflüglers anzufechten. Aber auf dem Weg - zu einer 100%-Erneuerbaren-Zukunft gibt es viele Nischen, die die bisherigen Windräder nur schwer nutzen können. Ein Blick in die Glaskugel alternativer Windkraft-Entwürfe.
Nano-Windkraft für niedrige Windgeschwindigkeit
Der Triboelektrische Nanogenerator (TENG) produziert schon bei Windgeschwindigkeiten von 1,6 Metern pro Sekunde erneuerbaren Strom – ein Wert, bei dem Dreiflügler ihre
Rotoren noch aus dem Wind nehmen. Der 2020 an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking entwickelte „WindTENG“ besteht aus zwei dünnen Plastikstreifen (Polyvinyliden-Fluorid (PVDF) und Fluorethylen-Propylen (FEP)). Flattern sie im leichten Wind und berühren sich dabei, tauschen sie Elektronen aus und werden unterschiedlich geladen. Der triboelektrische Effekt kann laut Studienautoren mit einer Konversionseffizienz von 3 Prozent in elektrische Energie gespeichert werden.
Zweifellos ist das trotz maximaler Ausbeute bei Windstärken von 8 m/s noch eine Nische, die eher Licht und Handy von Radlern lädt, als Haushalte mit Energie zu versorgen. Die Hochskalierung auf mehrere Quadratmeter könnte sich jedoch in Städten und Naturschutzgebieten als leise, wartungsarme Energiequelle eignen. Aber es geht weiter: Die nächste Zielsetzung liegt schon bei 1.000 Watt.
Vertikale Achsen für Eigenbetrieb
Windräder mit vertikalen Achsen gelten meist als uneffektive Kleinwind-Anlagen. 2020 stieß die Technologie aber erstmals in wirtschaftlich relevante Größen vor. Agile Wind Power errichtete einen Prototypen in Grevenbroich mit 750 kW Leistung. Eine seltene Kombination aus stark turbulenter Böe mit einer Windrichtungsänderung führte jedoch zum Abbruch eines Rotorarmes und warf die Inbetriebnahme bis zum Herbst 2021 zurück. Mit über 100 Metern Höhe sind die WEA keine Vorgarten-Windräder mehr. Das Schweizer Unternehmen baut seine Anlagen vor allem für den Eigenstrom von großen Firmen, P2X-Projekten oder Klärwerken. „Da ist die Bewilligung einfacher. Normale Anlagen bekommen oft keine Zulassung wegen des Lärm- oder Vogelschutzes – das sieht bei unseren Vertikalachsern anders aus“, sagt Agile Wind Power-CEO Patrick Richter. Die langsam drehenden Anlagen sind sehr leise, Vögel können sie gut umfliegen und der Aufbau auf Gittertürmen erspart die aufwändige Logistik. Ende 2022 sollen erste Modelle verkauft werden, 2024 plant man die Serie. Der Unterschied zu früheren Vertikalachsern: Eine Echtzeit-Pitchsteuerung verhindert auch bei langsamer Drehung den Strömungsabriss. Die Stromkosten sollen mit der Serie von aktuell 6–8 Cent pro kWh auf unter 6 Cent gedrückt werden, so Richter. So sollen sich die Anlagen für industrielle Kunden lohnen, die damit einen Teil ihres Stroms selbst produzieren wollen.
Kites im Höhenwind für die Grundlast
Die Schwankungen von Photovoltaik und Onshore-Windkraft verhindern ohne ausreichend Speicher eine 100-prozentige erneuerbare Zukunft. Je mehr Stunden die Anlagen pro Jahr Strom liefern, desto besser für das Stromnetz. Darum könnten Wind-Kites mit 5.000 bis 6.500 Volllaststunden pro Jahr den relativ konstanten Höhenwind in gut prognostizierbare Energie umwandeln. Im letzten Jahr brachte Skysails einen 200-kWKite zur Marktreife, 2021 verkündete RWE eine Zusammenarbeit mit dem Hamburger Unternehmen. In zwei Jahren will Skysails dann einen 1-MW-Flieger auf dem Markt anbieten. Die Stromkosten liegen aktuell bei 5–7 Cent pro kWh, ab dem 1-MW-Modell will Skysail „deutlich unter 5 Cent“ liegen, sagt Stephan Wrage, CEO der Skysail-Group. Das Prinzip ist nicht neu: Die Bewegungsenergie des Kite wird über eine Schnur an den Generator am Boden übertragen. Die verhältnismäßig leichte Errichtung eignet sich besonders für Inseln und Offgrid-Lösungen. Der Kite ist ab Windstärken von 3 m/s flugfähig, ab 5 m/s produziert er mehr Strom, als die Anlage selbst verbraucht. „Dort, wo man keine Genehmigung für eine herkömmliche WEA erhält, ist ein Kite immer noch leicht zu installieren“, sagt Wrage. „Selbst die Flugraumnutzung konnten wir in Schleswig-Holstein mit einem Shared Space-Konzept gut lösen.“ In Kombination mit Radarsystemen könne der Kite von rund 800 Metern Flughöhe schnell landen, wenn sich Rettungsflieger nähern.
Multirotoren für handhabbare Großanlagen
Dem Square Cube Law zufolge wächst das Materialvolumen eines Windrads kubisch, während der Ertrag nur quadratisch mit dem Durchmesser steigt. Ständige Innovationen beispielsweise im Leichtbau haben dieses Problem bislang lösen können. Aber irgendwann dürfte die physikalische Grenze unvermeidbar sein. Auch Transport, Zuwegung und Anwohnerakzeptanz beschränken weiteres Größenwachstum.
Multirotoren sollen die dauerhafte Lösung des Problems sein, erklärt das Hamburger Forschungsprojekt X-Multirotor. 20-MW-Anlagen aus mehreren kleinen Rotoren an einem Gestell könnten auch in der Wartung günstiger sein. Seit dem Vestas-Prototyp 2018 stockt hier jedoch die Entwicklung. Allein mit dem Nezzy2-Modell von EnBW und aerodyn gab es 2020 einen Offshore-Versuch einer Zwillingsanlage. Anfang 2022 soll die Originalgröße mit zweimal 7,5 MW in den Testbetrieb gehen.
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