Mr. Dickson, wie sieht die Ausbausituation in Europa aktuell aus?
Europa baut nicht genug neue Windenergie, um die Ziele des Green Deals oder des Fit-for-55-Pakets zu erreichen. Laut unserer 5-Jahres-Prognose wer-den im Zeitraum 2021–2025 jährlich 15 GW neue Leistung zugebaut – benötigt werden aber 30 GW pro Jahr, um die angestrebte Emissionsreduzierung von 55 % bis 2030 zu erreichen. Das Haupt-problem bleibt die Genehmigungslage. In dieser Hinsicht ist Deutschland kein Einzelfall. Auch andere Länder tun sich schwer mit der Genehmigung neuer Projekte. Mit großem Interesse ver-folgen wir deshalb den jüngsten Auf-wärtstrend bei Genehmigungen sowie die Überzeichnung der September-Aus-schreibungen in Deutschland. Auch die angekündigten Maßnahmen der neuen Bundesregierung zur Vereinfachung von Genehmigungsverfahren sind ein wichtiges Signal. Zusätzlich wird die Europäische Kommission 2022 eigene Empfehlungen zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren in den Mit-gliedsstaaten vorlegen.
Wie steht es um den Ausbau der Offshore-Windkraft?
Gerade im Bereich Offshore-Wind wurde im Jahr 2020 mit 26 Mrd. Euro stark investiert. Doch angesichts der aktuellen Ausbauziele reicht das noch nicht aus. Das liegt nicht zuletzt am Fadenriss beim Zubau in Deutsch-land. Die Bundesrepublik droht bei der Offshore-Windenergie hinter andere Länder zurückzufallen. Eins ist klar: Auch weiterhin wird der größte Teil der Neuinstallationen an Land stattfinden. In den kommenden fünf Jahren wird Onshore-Wind 70 % der Neu-installationen ausmachen. Aber die Offshore-Windenergie wird anteilig sehr stark steigen. Heute haben wir 15 GW Offshore-Windenergieleistung in der EU. Bis 2050 soll dies auf bis zu 300 GW ansteigen. Es ist deshalb essenziell, dass wir die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur tätigen.
Wie ist die Ausbausituation im Kontext des europäischen Maßnahmenpakets „Fit for 55“ zum Erreichen von 55 Prozent CO2-Minderung in der EU bis 2030 zu bewerten? Ist Europa auf dem richtigen Weg?
Mit dem Fit-for-55-Paket hat die Europäische Kommission ein weit-reichendes Gesetzespaket vorgelegt, mit dem die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um 55 % gesenkt werden sollen. Um diese Reduktion zu erreichen, wurde das Ziel für den Anteil Erneuerbarer Energien am Gesamt-energieverbrauch von bisher 32 % auf 40 % angehoben. Konkret bedeutet das, dass die installierte Kapazität der Windenergieleistung in Europa auf 451 GW im Jahr 2030 ausgebaut wird, ein jährlicher Ausbau von 30 GW. Auf diesem Ausbaupfad wird die Wind-energie im Jahr 2027 zur wichtigsten Stromquelle in der EU aufsteigen. Bis 2050 will die EU-Kommission 1000 GW Onshore-Wind und 300 GW Offshore-Wind erreichen.
Was sind auf europäischer Ebene jetzt die wichtigsten Rahmenbedingungen?
Europa hat ein klares Ziel: Klima-neutralität bis 2050. Nach dem Willen der Europäischen Kommission soll der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung in der EU von heute 16 % auf 50 % im Jahr 2050 steigen. Dafür ist es wichtig, dass die Kommission für 2022 Verbesserungen bei den Genehmigungen angekündigt hat. Um diese großen Mengen erneuer-barer Energien ins System zu integrie-ren, müssen sich zudem die jährlichen Investitionen in Stromnetze und Inter-konnektoren verdoppeln. Durch eine Stärkung lokaler Lieferketten müssen wir sicherstellen, dass die 1300 GW Windenergieleistung, die Europa im Jahr 2050 installiert haben wird, auch weiterhin in Europa hergestellt wer-den. Wir müssen die Elektrifizierung voranbringen, etwa durch Batterien, Speicher, EV-Ladeinfrastruktur und Wärmepumpen. Langfristig brauchen wir ein Strommarktdesign, das auf ein Energiesystem mit sehr hohem Erneuerbaren-Anteil ausgelegt ist.
Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung in Deutschland?
Der frühe und entschlossene Ausbau der Windenergie hat in Deutschland eine weltweit führende Windindustrie geschaffen. Deutschland hat mit seinen Investitionen dazu beigetragen, dass Windenergie heute eine der günstigsten Energieformen in ganz Europa ist. Die neue Bundesregierung wird diese deutsche Führungsrolle noch einmal stärken und den Markthochlauf neuer Technologien im Bereich der Elektrifizierung und des erneuerbaren Wasserstoffs fördern.
Das hat nichts mehr mit grüner Ideologie zu tun. Die konsequente Fortsetzung der Energiewende ist heute Industriepolitik. Es stimmt: Früher hatten energieintensive Unternehmen Angst, dass Erneuerbare zu teuer seien und mit ihrer „Volatilität“ das Stromsystem gefährden könnten. Doch das hat sich radikal geändert. Aus allen Sektoren der deutschen Industrie steigt die Nachfrage nach günstigem und sauberem Strom aus Windenergie. Erneuerbare Energien sind nicht zuletzt aufgrund der steigenden Preise im Europäischen Emissionshandel und am europäischen Strommarkt ein entscheidender Standortvorteil geworden. Der sprunghafte Anstieg erneuerbarer PPAs in ganz Europa verdeutlicht das.
Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche stimmen mich hoffnungsvoll. Die wichtigsten Probleme wurden erkannt: Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden, 2 % der Landesfläche soll für Windenergie zur Verfügung gestellt werden und die Kommunen sollen noch stärker von der Windenergie profitieren. Was derzeit noch fehlt, ist eine entschlossene Repowering-Strategie. Aber die Regierungs-parteien scheinen sich einig: Es braucht mehr Klimaschutz und das kann nur mit mehr Wind gelingen.
Im November 2021 fand das WindEurope Jahresevent „Electric City 2021“ statt und im April 2022 trifft man sich in Bilbao. Was zeichnet die beiden Messen aus?
Bei Electric City 2021 wollen wir den Blick weiten. Das europäische Energiesystem befindet sich in einem fundamentalen Wandel. Angetrieben wird dieser Wandel durch den Megatrend Elektrifizierung. Heute sind etwa 25 % des EU-Energiesystems elektrifiziert. Die EU-Kommission will bis 2050 einen Elektrifizierungsgrad von bis zu 75 % erreichen. Anwendungen, die heute noch von fossilen Energien abhängen, werden dann großteils mit Erneuerbaren Energien versorgt. Dazu zählen die Bereiche Verkehr, Wärme und Industrie. Mit diesen neuen Stakeholdern wollen wir bei Electric City 2021 ins Gespräch kommen. In Bilbao werden wir verstärkt die ökonomischen Effekte der Windenergie für Menschen und Gemeinden in den Blick nehmen. Und natürlich freuen wir uns nach der Covid-19 Pandemie ganz besonders auf die Abendver-anstaltungen, Delegationsbesuche und Netzwerkgelegenheiten. Endlich kann die gesamte europäische Windbranche wieder an einem Ort zusammen-kommen!
Vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Beitrag erschien erstmals im BWE Branchenreport 2022