Plötzlich reden Politik und Wirtschaft von Power-to-X (P2X) und Wasserstoff. Während sich allerdings die meisten Akteure noch in der Planungsphase befinden, produziert KMW Wind to Gas Energy in Brunsbüttel schon seit dem letzten - Jahr Wasserstoff aus Windstrom. Ein Teil davon wird in einer Tankstelle vor Ort abgeben, der andere Teil ins Gasnetz. Auch in Haurup, südlich von Flensburg, speist eine Kooperation um den Betreiber Energie des Nordens nun mit einem 1-MW-Elektrolyseur Wasserstoff ins Deudan-Gasnetz ein. Abnehmer sind rund 20.000 Greenpeace Energy-Kunden im ProWindgas-Tarif. Und zwischen Niebüll und Husum nimmt ein Brennstoffzellen-Bus den Linienbetrieb auf, finanziert aus Landesmitteln. Der dafür verwendete grüne Wasserstoff kommt aus zwei von der GP Joule betriebenen Elektrolyseuren, die den Strom verwerten, der sonst abgeregelt werden müsste.

Diese Beispiele zeigen: Der Einsatz von Wasserstoff ist schon heute praxistauglich. Dabei wird der Wegfall der EEG-Umlage der grünen Wasserstoffproduktion einen weiteren Schub geben. Positiv bewertet wird auch die im Sommer 2020 von der Bundesregierung verabschiedete nationale Wasserstoffstrategie, von der die Branche sich wichtige Impulse erhofft.

 

Die Nationale Wasserstoffstrategie des BMWi

Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) schafft die Bundesregierung einen kohärenten Handlungsrahmen für die künftige Erzeugung, den Transport, die Nutzung und Weiterverwendung von Wasserstoff und damit für entsprechende Innovationen und Investitionen. Sie definiert die Schritte, die notwendig sind, um zur Erreichung der Klimaziele beizutragen, neue Wertschöpfungsketten für die deutsche Wirtschaft zu schaffen und die internationale energiepolitische Zusammenarbeit weiterzuentwickeln.

Vor diesem Hintergrund verfolgt die NWS insbesondere folgende Ziele:
  • Wasserstofftechnologien als Kernelemente der Energiewende etablieren, um mit Hilfe erneuerbarer Energien Produktionsprozesse zu dekarbonisieren
  • Die regulativen Voraussetzungen für den Markt hochlauf der Wasserstofftechnologien zu schaffen
  • Deutsche Unternehmen und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, indem Forschung und Entwicklung und der Technologieexport rund um innovative Wasserstofftechnologien forciert werden
  • Die zukünftige nationale Versorgung mit CO2-freiem Wasserstoff und dessen Folgeprodukte sichern und gestalten.

 Quelle: www.bmwi.de

 

Rasantes Größenwachstum bei P2X

Vielleicht haben diese Faktoren zur jüngsten H2-Euphorie beigetragen. Hinzu kommt ein neuer Trend zu größeren Anlagen in der zwei- bis dreistelligen Megawatt (MW)-Klasse.
So entsteht an der schleswig-holsteinischen Raffinerie Heide im Projekt Westküste100 ein 30-MW-Elektrolyseur. Der Strom soll aus einem Offshore-Windpark bezogen werden, den erzeugten Wasserstoff will man industriell in der Raffinerie einsetzen. Bis 2025 wollen die beteiligten Partner auch testen, ob der bei der Elektrolyse anfallende Sauerstoff für die
Zementherstellung eingesetzt werden kann. Zudem sollen die Chancen einer Produktion von Methanol (CH3OH) für den Kraftstoffbereich ausgelotet werden. Die Abwärme des Elektrolyseurs soll zusätzlich für die Wärmeversorgung eines Neubaugebietes in der nahegelegenen Kreisstadt Heide genutzt
werden. Geplante Kosten: 89 Millionen Euro.

An der Elbe wird noch größer gedacht. In Hamburg plant ein Konsortium aus Vattenfall, Mitsubishi, Shell und Wärme Hamburg einen Elektrolyseur mit 100 MW. Auf dem Gelände des zukünftig stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg will das Konsortium grünen Wasserstoff für benachbarte Industriebetriebe produzieren. Dafür will die Stadt eigens die Gasnetze umbauen. Der Hafen bietet zusätzlich die Option, den Wasserstoff per Schiff zu transportieren.

Erfahrung sammeln statt Gewinn

Viele Projekte sind trotz gekappter EEG-Umlage noch nicht profitabel. So zum Beispiel der 250-kW-Elektrolyseur, den ein Bürgerwindpark neben seine 1,3-MW-Windenergieanlage in
Ellhöft baut. Die Windenergieanlage fiel Ende 2020 aus der EEG-Förderung, das P2X-Projekt soll zukünftig Einnahmen erschließen. Der Wasserstoff soll schon bald eine Tankstelle
in der 102-Seelen-Gemeinde versorgen. „Das rechnet sich sicherlich noch nicht, aber die Betreiber des Windparks Ellhöft wollen das unbedingt machen, um rechtzeitig Erfahrungen für später zu sammeln“, sagt Marko Bartelsen, Projektingenieur des Unternehmens Energie des Nordens, das den Elektrolyseur im Auftrag des Windparks Ellhöft plant. Das ökonomische Problem ist auch eines der Nachfrage: Sowohl in der Mobilität als auch in der Industrie und im Wärmebereich gibt es noch zu wenig Abnehmer des grünen Wasserstoffs, erläutert Bartelsen. Wenn die CO
2-Besteuerung greift, glaubt Bartelsen, werde es schnell Wasserstoffantriebskonzepte für LKW, Schiff und Luftfahrt geben. Dann kämen auch die Business-Modelle, die sich rechnen.

Power-to-Heat wird weiter ausgebremst

An Abnehmern mangelt es im Wärmebereich derweil nicht. Dass Power-to-Heat bisher noch eine Nische ist, hat wohl eher mit der EEG-Umlage zu tun. Anders als bei Power-to-Gas fehlt hier noch die Umlagebefreiung. Dass Power-to-Heat sich sowohl für Abnehmer als auch Erzeuger rechnen könnte, beweist Enertrag mit einem Windwärmespeicher in der brandenburgischen Gemeinde Nechlin. Seit Anfang letzten Jahres versorgt er fast alle Einwohner des Ortes mit Wärme aus Windstrom. Das technische Prinzip besticht durch seine Einfachheit: Überschussstrom aus dem Windpark beheizt über eine direkte Stromleitung das Wasser im Speicher.

Der Preis liegt laut Enertrag immer unterhalb der fossilen Konkurrenz: „Heizöl kostet im Januar 2021 inklusive CO2-Preis rund 55 Cent pro Liter, also umgerechnet ungefähr 6 Cent pro Kilowattstunde“, rechnet Matthias Philippi, Pressesprecher bei Enertrag, vor. „Für Verluste, Kesselwartung und Schornsteinfeger kommt noch ein Aufschlag von bis zu 40 Prozent drauf. Damit kostet die Wärme von einer Ölheizung rund 7–8 Cent je Kilowattstunde. Wir liefern die Windwärme für 6 Cent.“ Zwischen 200 und 400 Stunden im Jahr müsste der Nechliner Windpark sonst abregeln. Diese Energie geht jetzt in die Wärmeproduktion. 2019 blieben deutschlandweit laut Bundesnetzagentur 6.482 Gigawattstunden Grünstrom ungenutzt, Tendenz steigend. Das Potential für den Wärmesektor wäre groß.

SINTEG – Schaufenster intelligente Energie

Im Förderprogramm „Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG) wurden in großflächigen Modellregionen übertragbare Musterlösungen für eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung bei zeitweise 100 Prozent Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien entwickelt und demonstriert. Von 2016 bis 2020 haben über 300 Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Kommunen die digitale Energiezukunft getestet. Für die Zeit nach der Energiewende haben sie Herausforderungen identifiziert und Lösungen entwickelt.
Die Ergebnisse der Modellprojekte werden derzeit in fünf Themenberichten zusammengeführt und veröffentlicht. Insbesondere Praxisanwender sollen davon profitieren.

Quelle: www.sinteg.de

 

Das Problem: Der Windwärmespeicher Nechlin ist aktuell im Rahmen des Bundesforschungsprogramms SINTEG von der EEG-Umlage befreit, aber das Programm läuft voraussichtlich noch 2021 aus. Ohne SINTEG verhindert die Umlage einen dringend notwendigen wirtschaftlichen Betrieb solcher Anlagen. Während der Stromsektor mit einer Quote von 50 % Erneuerbaren schon gut dasteht, sind es im Wärmesektor unter 15 %.

Wie schwer sich diese Innovationen mit den rechtlichen Regularien plagen, wird auch bei der Power-to-Heat-Anlage „Karoline“ in Hamburg deutlich. Die 45-MW-Anlage könnte 13.500 Haushalte mit Wärme versorgen. Der Elektroheizkessel sollte seine Energie via Hochspannungsnetz von überschüssigem Windstrom aus Schleswig-Holstein beziehen. Aber noch kommt die 7,1 Millionen Euro teure Investition nicht wie gewünscht zum Einsatz. Denn die Hamburg Wärme GmbH müsste für den Strombezug sämtliche Strompreisbestandteile zahlen – ein wirtschaftlicher Betrieb sei so erst bei negativen Marktpreisen möglich. „Karoline ist ein wichtiger Demonstrator für die Machbarkeit der Energiewende“, sagt Werner Beba, Projektkoordinator der Norddeutschen Energiewende NEW 4.0. Unter den gegebenen Bedingungen sieht man davon leider noch wenig.

CO2-Sorgenkind Zement

Laut einer Studie des WWF resultieren 8 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen aus der ZementHerstellung. In Deutschland wurden davon 2017/2018 jährlich 27,5 Millionen Tonnen verbraucht, pro Tonne entstehen hierzulande ca. 587 kg an CO2-Äquivalenten. Derzeit wird intensiv an Zement-Alternativen geforscht, bislang aber ohne durchschlagenden Erfolg. Konkrete Maßnahmen beziehen sich auf das konsequente Recycling von Beton, die Festschreibung von Nachhaltigkeitskriterien bei Hoch- und Tiefbauprojekten sowie die Dekarbonisierung des Herstellungsprozesses. Beim letztgenannten Punkt nimmt die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien eine zentrale Rolle ein.


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