Pretty incredible“, staunte John Hensley, der langgediente Experte für Marktanalysen des amerikanischen Windenergieverbandes. „Best year ever! Wir haben allein im vierten Quartal so viel Windkraft ans Netz gebracht wie – 2012 ausgenommen – noch nie in einem ganzen Kalenderjahr “, teilte er den Journalisten mit, die von überall aus der Welt an der Online-Konferenz zu den Aufstellzahlen in den USA teilnahmen. Auch das sei wirklich „pretty incredible“. John Hensley benutzte die Vokabel gleich viermal in einer halben Stunde. Und es war nicht übertrieben.

Denn mit knapp 17.000 Megawatt Wind im Jahr 2020, davon 10.500 MW allein im vierten Quartal, hat sich der amerikanische Markt gegenüber den Vorjahren etwa verdoppelt. Und auch wenn schon Anfang 2020 hohe Zahlen zu den „in Vorbereitung“ befindlichen Windparks veröffentlicht worden waren, hatte mit diesem Boom kaum jemand gerechnet. Die Windenergie, erläutert Hensley, reiche inzwischen aus, um 37 Millionen amerikanische Haushalte mit Strom zu versorgen. Die harten Zahlen hinter dem Boom: Die meisten neuen Anlagen kommen weiter aus der 2- bis 3-MW-Klasse (71 %), während inzwischen ein gutes Viertel des Marktes von 3,x-Anlagen bedient wird. Anlagen mit mehr als 4 MW sind erst in 13 Parks im Einsatz.

Vor allem dank der Modelle 2.82-127 und 2.5-127 ist GE Marktführer im US-amerikanischen Onshore-Windbereich mit einem Anteil von 53 %, es folgen Vestas (35 %), Siemens Gamesa (10 %) und Nordex (3 %). Eine Besonderheit stellt die Art des Repowering in den USA dar: Dort werden insbesondere von GE die Türme und Fundamente älterer Anlagen genutzt, um sie mit neuen Maschinenhäusern zu bestücken. Die neuen Anlagen erreichen dann zwar keine Lebensdauer von 20 oder 25 Jahren, durch die niedrigeren Investitionskosten rentiert sich das Repowering jedoch bereits nach 15 bis 18 Jahren. GE kommt allein auf über 2.000 Megawatt repowerte Anlagen, Vestas auf 770 MW.

Bemerkenswert bei der Betrachtung des US-Markts ist auch, dass der chinesische Hersteller Goldwind hier laut der American Clean Power Association (ACP) insgesamt 202 MW in der 2-MW-Klasse ans Netz gebracht hat. Und das könnte erst der Einstieg in die westlichen Märkte sein: In Kanada nimmt der einheimische Entwickler Potentia Renewables im Windpark „Golden South Wind“ bereits 50 Goldwind-Anlagen mit einer Nennleistung von 4,2 MW in Betrieb. Bisher spielten chinesische Unternehmen auf internationalen Märkten so gut wie keine Rolle – Goldwind läuft sich jetzt aber womöglich mit der nächsten Anlagengeneration für den hart umkämpften US-Markt warm.

Corona ist gemeistert, Trump auch

Corona spielte 2020 in der Windbranche letztlich nur eine untergeordnete Rolle. Die Pandemie hatte in den ersten Quartalen durchaus für Verzögerungen auf den Baustellen gesorgt, wodurch allerdings der Endspurt im letzten Quartal umso heftiger ausfiel. Außer einer leichten Verschiebung blieb die Windbranche also von den Auswirkungen der Pandemie verschont. Trotz der ideologisch düsteren Trump-Jahre, trotz Klimawandel-Leugnern und dem von Trump gepflegten Feindbild Windkraft haben sich die Erneuerbaren Energien unabhängig von den regierenden Parteien durchgesetzt. Die Bundesstaaten mit dem stärksten Zubau waren die konservativ regierten Staaten Texas und Oklahoma – mit einer installierten Gesamtkapazität von inzwischen 33.000 MW bzw. 9.048 MW. Neben weiten Flächen und starkem Wind liege das vor allem an einem fortgeschrittenen Netzausbau und geebneten regulatorischen Hürden, so die ACP. Nach den Südstaaten folgt Iowa, und erst dahinter plazieren sich die demokratisch regierten Staaten Kansas und Kalifornien.

Weiter guter Wind und Sonnenschein

Und die Aussichten bleiben gut: Das amerikanische Fördersystem mit Steuergutschriften (Production Tax Credits (PTC)) wurde Ende 2020 vom Kongress fortgeschrieben. Zudem gelten in der anziehenden Post-Corona-Konjunktur die Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen weiter als attraktiv.

In den USA hat offensichtlich ein grundsätzlicher Wandel stattgefunden: Erneuerbare Energien und Speicher rücken enger zusammen. Die „American Windpower Association“ (AWEA) hat sich aufgelöst und ist nun zusammen mit Solarverbänden und Anbietern von Batteriespeichern in der neuen „American Clean Power Association“ (ACP) organisiert. „Wir sind Amerikas günstigste und am schnellsten wachsende Energiequelle“, heißt es hier selbstbewusst über die Erneuerbaren. Bei der Vorstellung der Wind-Zahlen hat der Verband deshalb auch erstmals den Zuwachs bei Solar und Speichern genannt: Der neu installierte Solarstrom hat sich 2020 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt und lag bei 11.158 MW. Dabei zählt die ACP ausschließlich große gewerbliche Solaranlagen, die aus PTCs und Power Purchase Agreements finanziert sind.
Zu privaten Solaranlagen hat ACP keine Daten vorliegen. „Wir arbeiten aber daran“, heißt es. Rekorde gibt es auch bei den ebenfalls über PTCs und PPAs finanzierten Batteriespeichern: Die neu installierte Stromspeichermenge hat sich auf mehr als 1.800 MWh etwa verdreifacht. Das ist ein Paukenschlag, denn seit 2015 betrugen die jährlich installierten Megawattstunden lediglich ca. 400 MWh.

USA: dauerhaft über 10.000 MW pro Jahr

Solar, Speicher und Windkraft funktionieren auch und gerade in den traditionsreichen Windstaaten am besten im Verbund: Viele Windparkbetreiber würden nun Solaranlagen
in der Nähe ihrer Windräder bauen. Teils wegen der niedrigen Stromgestehungskosten, teils auch um das Stromnetz besser auszulasten. Schließlich kommt Wind auch auf guten Flächen kaum über 3.000 Volllaststunden pro Jahr hinaus.

„Die Verlängerung der 60-prozentigen ‚Production Tax Credit‘- Förderung für Projekte, die bis 2025 ans Netz gehen, hat auch die Aktivitäten im Zusammenhang mit Repowering angekurbelt, die von 2022 bis 2025 ein zusätzliches Volumen beisteuern werden“, erklärt Shannon Sturgil, der bei Siemens Gamesa das Onshore-Geschäft in Nordamerika leitet. Und mit Unterstützung der Biden-Administration könne laut einer aktuellen Analyse der US amerikanischen Energiepolitik von Wood Mackenzie der Markt bis 2030 einen jährlichen Zubau von etwa 10 GW aufrechterhalten. Dabei würden jetzt auch endlich größere Anlagen eingesetzt. „Wir sehen den Beginn einer Verschiebung hin zu höheren Leistungsklassen nicht nur bei Siemens Gamesa und Nordex, sondern auch bei Vestas und GE“, so Sturgil.

Der Optimismus der Windbranche ist groß. Katrin Jordan zufolge, der Beraterin für Wirtschaft an der US-Botschaft in Berlin, plant die Biden-Regierung, schon bis 2035 in der Stromversorgung vollständig auf „saubere Energien“ umzusteigen. Biden habe außerdem angekündigt, dass bis 2025 25.000 MW Wind-, Solar- und geothermische Anlagen allein auf staatlichen Flächen und Gebäuden installiert werden sollen. Für Detailfragen wie den jährlichen Windenergie-Zuwachs sei es aber noch zu früh: „Daran wird in Washington jetzt mit Hochdruck gearbeitet“, heißt es Anfang März vonseiten der Botschaft.

Trotz der rundum positiven Aussichten will sich ACP-Analyst John Hensley nicht auf eine genaue Zubau-Prognose für 2021 einlassen. Doch es könnte wieder ein sehr gutes Jahr werden. Der Wert für die Windkraft in Bau oder in fortgeschrittener Entwicklung (under construction or in advanced development) liegt aktuell mit 35.000 MW zwar merklich unter den 40.000+ MW-Werten der Vorjahre. Aber durch Corona hätten einige Windparks den Netzanschluss im Jahr 2020 verpasst, so dass es noch einmal zu einem gewissen Überlauf kommen könnte. Die abgeschlossenen Netzanschlüsse ziehen daher in einer ähnlich erfolgreichen Größenordnung mit: Wenn 2021 wieder 15.000 bis 20.000 MW Windkraft ans Netz gehen, dürfte das niemanden überraschen.

China 2020: mehr als ein Ankündigungsweltmeister

Mit 71.700 Megawatt installierter Leistung spielte der chinesische Onshore-Markt 2020 in einer eigenen Liga. Das ist deutlich mehr, als im letzten Vierteljahrhundert in Deutschland installiert wurde. „Windenergieunternehmen und Beobachter sind von den Zahlen überwältigt“, erklärt etwa Ben Backwell, Leiter des Global Wind Energy Council (GWEC). Auch wenn es Sondereffekte gab: „Wir müssen berücksichtigen, dass die Zahlen einen erheblichen Anteil aus Übertragungen von 2019 beinhalten. Wenn wir nur die Installationen im Jahr 2020 betrachten, kommen wir auf ein Volumen von etwa 45.600 Megawatt“, klärt Paulo Soares auf, der das Onshore-Wind-Geschäft von Siemens Gamesa in der Asien-Pazifik-Region leitet. Doch das ist angesichts der gigantischen Zahl neuer Netzanschlüsse nur ein geringer Einwand, zumal laut GWEC weitere 4.000 MW offshore hinzugekommen sind. Und Experten wie Soares sind weiter optimistisch. Ende 2020 hatte der chinesische Präsident Xi Jinping mitgeteilt, dass die Kohlenstoffemissionen in China nach 2030 ihren Höhepunkt überschritten haben sollen und die CO2-Neutralität bis 2060 erreicht werden soll. „In diesem Zusammenhang versprach Präsident Xi Jinping auch, dass das Land seine gesamte installierte Kapazität von Wind- und Solarenergie bis 2030 auf mindestens 1.200.000 MW ausbauen wird, ausgehend von 534.000 MW Ende 2020“, betont Soares. Das würde bedeuten, dass Chinas Windenergie nun jedes Jahr um rund 65.000 MW wachsen müsste.

Die chinesische Windindustrie hat allerdings gezeigt, dass sie solche Volumen sogar im Corona-Jahr stemmen kann. „Die Branche wird in den kommenden Jahrzehnten weiter stark wachsen, und China wird weiterhin ein sehr wettbewerbsintensiver Markt sein, in dem chinesische OEMs dominieren, wie es schon in den letzten 15 Jahren der Fall war“, sagt Soares.

Internationale Hersteller in China: geringer Marktanteil, hohe Volumina

Siemens Gamesa zufolge haben sämtliche internationalen Hersteller zusammen – also auch Vestas und GE – einen sehr geringen Marktanteil in China von etwa 5 % der Neuinstallationen. Doch trotz des geringen Anteils seien die absoluten Volumen hoch. Siemens Gamesa allein hat in China laut Geschäftsbericht im Jahr 2020 einen Umsatz von 300 Millionen Euro erwirtschaftet und 44 MW installiert (nach rund 400 MW im Vorjahr). Kumulativ kommt Siemens Gamesa auf 5.509 MW onshore und 48 MW offshore. Dennoch werde die Hälfte aller chinesischen Offshore-Installationen von Siemens Gamesa geliefert, indem sie über den „strategischen Partner“ Shanghai Electric lizenziert werden. Vestas hat laut aktuellem Geschäftsbericht 1.465 MW nach China geliefert, das damit für die Dänen das zweitwichtigstes Exportland hinter den USA war.
„Internationale Unternehmen profitieren davon, in China zu sein und von hier in andere Märkte zu exportieren“, erklärt Soares. Da inzwischen auch die Nennleistungen und die technischen Anforderungen wachsen, steige „das Niveau der lokalen chinesischen Zulieferer, so dass sie auf internationalem Niveau konkurrieren können.“

Europa schwächelt

Während China und die USA stark zugelegt haben, gingen die Installationen von Onshore-Wind in Europa leicht zurück. 14.700 Megawatt beträgt der Zubau zwischen Lissabon und Moskau – das ist ein moderates Minus von 6 % gegenüber dem Vorjahr. „Und es ist ein deutliches Minus von 19 % gegenüber den Erwartungen, die wir vor Corona hatten“, verdeutlicht Ivan Komusanac, Analyst bei WindEurope in Brüssel. Die Windkraft an Land wurde 2020 um 11.800 MW zugebaut und liegt damit ungefähr auf dem Niveau der vergangenen zehn Jahre.

Eine Besonderheit in diesem Jahr: Norwegen konnte erstmals den Spitzenplatz bei den Windinstallationen an Land erobern und liegt mit 1.532 MW knapp vor Deutschland, Spanien und Frankreich. Laut WindEurope ist das aber nur ein Kurzzeithoch. Der Ausbau in Norwegen geht zwar weiter, aber in den kommenden Jahren wird er deutlich unter 400 MW pro Jahr betragen.

Eine Überraschung ist auch der fünfte Platz für die Türkei mit 1.224 MW. In der Türkei sind traditionell viele deutsche Firmen mit lokalen Niederlassungen präsent, weil das Land einen hohen Anteil an local content verlangt. „Für jedes lokal produzierte Bauteil wie Rotorblätter, Turm oder Generator gibt es einen Bonus bei der Einspeisevergütung“, erklärt ein Nordex-Sprecher das türkische Auktionssystem für Windstrom. Nordex kauft solche Bauteile darum bei türkischen Maschinenbauern, andere Firmen haben eigene Fabriken in der Türkei. Die Regierung in Ankara hat das Ziel ausgegeben, die Windkraft an Land von 7.500 MW (2019) bis auf 20.000 MW im Jahr 2023 auszubauen. Marktbeobachter sind sich allerdings nicht sicher, ob dies erreicht werden kann. Die Türkei kämpfte 2020 mit einer Finanzkrise, und die Verbände beklagen, dass die Unterstützung für die Erneuerbaren zurückgehe2. Hinzu kommt, dass in der Türkei eine Umstellung der Grünstrom-Vergütung von Dollar auf Türkische Lira diskutiert wird – angesichts des Währungsverfalls bedeutet dies eine große Verunsicherung für Investoren. Nicht zu erwarten war auch die Entwicklung in Russland.
Der Öl- und Gas-Förderstaat hat zuletzt 700 MW Windkraft installiert. Seit 2017 wurden rund 2.400 MW Windkraft ausgeschrieben, die nun sukzessive in Betrieb genommen werden. 2020 gab es keine neuen Auktionen.

Mittelfristig 15.000 MW onshore – oder mehr?

Für die kommenden Jahre rechnet WindEurope mit klar steigenden Installationszahlen in Europa: 2021 soll ein Rekordjahr mit 16.000 MW onshore werden. Bis 2025 sollen die jährlich neu aufgestellten Anlagen dann etwa 15.000 MW erreichen. Zurückgehende Installationen in Schweden und Norwegen werden dabei durch anziehende Märkte in Spanien und Großbritannien ausgeglichen. Die Prognosen stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass auch 2021 eine neue Corona-Welle in Europa die Windenergie wieder bremsen könnte. Doch es könnte auch noch stärker bergauf gehen: Wenn die EU ihre Grünstromziele von 32 Prozent an der Bruttostromerzeugung bis 2030 wirklich umsetzt, sehen die Szenarien von WindEurope bis 2025 Mehrinstallationen von 5.000 MW bis etwa 7.000 MW pro Jahr vor.


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