1. Neue Anforderungen an die Zustandsüberwachung
Mit dem wachsenden Alter vieler Windenergieanlagen steigt der Bedarf an zuverlässigen Überwachungssystemen für sicherheitsrelevante Komponenten. Insbesondere Blattlager stehen bei einigen Anlagentypen im Fokus: Sie verbinden Rotorblätter mit der Nabe und sind kontinuierlich wechselnden Belastungen ausgesetzt. Ein Versagen dieser Bauteile kann schwerwiegende Folgen haben. Der Beitrag beleuchtet einen neuen Überwachungsansatz, bei dem Lichtwellenleiter eingesetzt werden, um Risse frühzeitig zu detektieren – noch bevor es zu größeren Schäden kommt.
2. Rissproblematik in Blattlagern: Ursachen und Folgen
Blattlager sind durch zyklische Belastungen, Temperaturunterschiede und Umwelteinflüsse einem hohen Verschleiß ausgesetzt. In der Vergangenheit traten vornehmlich bei bestimmten Turbinenbaureihen wiederholt Schäden in Form von Rissen in den Außenringen der Blattlager auf. Seit Jahren ist bekannt, dass insbesondere die Blattlager der REpower/Senvion-Baureihen MM und 3.XM-Turbinen massiv von auftretenden Rissen in den Außenringen der Blattlager betroffen sind. Als eine Ursache wird unzureichender Korrosionsschutz in den Bohrlöchern der Blattlageraußenringe vermutet, durch den sich feine Rissnetzwerke bilden können. Bleiben solche Schäden unerkannt, besteht das Risiko eines Blattlagerbruchs – bis hin zum Abwurf eines Rotorblatts.
3. Grenzen bisheriger Monitoring-Ansätze
In Anbetracht des dadurch bestehenden Sicherheitsrisikos hat Siemens Gamesa eine windtechnische Anweisung (WTA) für verschiedene WEA-Typen des Herstellers REpower/Senvion ausgegeben. Sie sieht eine quartalsweise bzw. halbjährliche Überprüfung der Blattlager zur Auflage für den Betrieb der WEA vor – sogenannte visuelle „Quick-Checks“. Diese Quick-Checks stellen allerdings immer nur eine Momentaufnahme dar. Zusätzlich wurde an bestimmten Turbinen mit erhöhten Risikomerkmalen begonnen, Condition Monitoringsysteme für Blattlager (CMBB) zu installiert. Die Flotte wurde jedoch nicht flächendeckend mit CMBB-Systemen ausgerüstet. Zudem basiert das System auf punktueller Sensorik, die nur Teilbereiche des Blattlagers abdeckt und nur indirekt über Brüche von Muttern über dem Blattlageraußenring Rückschlüsse auf Risse zieht. In der Praxis führt dies zu einer Reihe von Herausforderungen: Falschmeldungen verursachten unnötige Stillstände, während echte Schäden mitunter zu spät erkannt wurden. Zudem war die Integration solcher Systeme in bestehende Anlagen oft aufwendig und die Signalübertragung störanfällig.
4. Neue Perspektive: Überwachung mit Lichtwellenleitern
Mit der Insolvenz von Senvion (vorher REpower) im Jahr 2019 wurde der Service für die vorhandenen Windkraftanlagen im Feld von der Siemens-Gamesa und der Deutschen Windtechnik übernommen. Auf der Suche nach einer besseren Lösung zur strukturellen Überwachung der Blattlager setzte die Deutsche Windtechnik in enger Kooperation mit dem Engineering-Unternehmen eolotec GmbH auf die Entwicklung eines neuen technologischen Ansatzes: Lichtwellenleiter – auch als polyoptische Fasern bekannt. Dabei wird ein speziell präparierter Lichtleiter rund um das gesamte Blattlager angebracht. D. h. das Blattlager wird nicht mehr nur punktuell, sondern vollumfänglich 360° und 24/7 überwacht. Die Funktionsweise des Lichtleiters beruht auf der präzisen Messung von Lichtlaufzeiten: Verändert sich durch einen entstehenden Riss die Geometrie des Materials, verändert sich auch die Laufzeit des Lichts im Faserverlauf. Diese Veränderungen – oft im Bereich von Mikrometern – lassen sich messen und auswerten.
Was ist ein Lichtwellenleiter?
Ein Lichtwellenleiter ist eine dünne, flexible Faser – meist aus Kunststoff oder Glas –, die Lichtsignale über große Strecken nahezu verlustfrei übertragen kann. In der Strukturüberwachung reagiert sie auf kleinste Dehnungen im umgebenden Material, indem sich die Laufzeit des Lichts geringfügig verändert. Diese Eigenschaft wird genutzt, um Materialveränderungen wie Risse frühzeitig zu erkennen.
5. Installation und Betrieb im Praxisumfeld
Für die Installation wird das Blattlager zunächst gründlich gereinigt. Anschließend wird der Lichtwellenleiter rund um das Lager befestigt – typischerweise durch Verkleben. Die Arbeiten erfordern einen temporären Stillstand der Anlage von etwa zwei Arbeitstagen, wobei die Anlage nachts in Betrieb bleibt. Nach der Inbetriebnahme wird mithilfe von Lasertechnik ein Signal durch die Faser geschickt. Veränderungen im Laufzeitprofil deuten auf kleinste strukturelle Veränderungen hin, die online über eine Plattform erfasst und analysiert werden. Die Auswertung erfolgt durch geschultes Personal, das im Bedarfsfall geeignete Maßnahmen veranlassen kann.
Ein wesentlicher Vorteil: Das Überwachungssystem greift nicht in die Anlagensteuerung ein und erfüllt somit die hohen KRITIS-Anforderungen. Ein ungewollter Stillstand durch Fehlalarme ist ausgeschlossen. Die Stromversorgung erfolgt berührungslos über ein induktives Ladesystem (Wireless Power Transfer), sodass keine zusätzlichen beweglichen Kabelverbindungen von der Nabe zum drehenden Blattlageraußenring notwendig sind – ein Vorteil, da der Pitchbereich so stark vergrößert werden kann.
Von der Detektion zur Entscheidung
- Erkennung: Ein Riss verändert die Lichtlaufzeit minimal
- Analyse: Daten werden automatisiert ausgewertet
- Validierung: Ein Fachteam bewertet die Signale
- Maßnahme: Gezielter Vor-Ort-Service wird bei Bedarf ausgelöst
6. Vorteile und technisches Potenzial
Das lichtwellenleiterbasierte Monitoring bietet mehrere Vorteile: Es ermöglicht eine flächendeckende, kontinuierliche Überwachung und kann Rissbildungen detektieren, bevor es zu kritischen Schäden oder gar Unfällen kommt. Gleichzeitig reduziert es die Zahl ungeplanter Serviceeinsätze und verbessert die Planbarkeit von Wartungsmaßnahmen. So werden insbesondere Kosten für Service, Ausfallzeiten und Ertragsverluste vermieden. Die Integration in bestehende Anlagen ist – trotz des temporären Stillstands – vergleichsweise unkompliziert und erfolgt ohne Eingriff in die Steuerungstechnik.
© Deutsche WindtechnikVorteile des Systems auf einen Blick
- Vollflächige Überwachung: 360°-Detektion rund ums Blattlager, 24/7
- Frühzeitige Erkennung: Risse werden sichtbar, bevor es kritisch wird
- Keine Steuerungseingriffe: Keine Auslösung unbeabsichtigter Stillstände
- Energieversorgung per Induktion: Kein Verschleiß durch bewegliche Schleppketten
- Digitale Auswertung: Fernauswertung auf Onlineplattformen möglich
7. Ausblick: Integration in moderne Wartungskonzepte
Die Kombination lichtwellenleiterbasierter Überwachung mit anderen Systemen – etwa Schwingungssensorik oder KI-gestützter Zustandsbewertung – eröffnet neue Perspektiven für die vorausschauende Instandhaltung („Predictive Maintenance“). Im Moment wird an einer Ausweitung der Methode auf Blattlager anderer WEA-Typen und Hersteller sowie strukturkritische Bereiche wie Turmfundamente oder Maschinenhausverbindungen gearbeitet.
8. Fazit: Ein Baustein für die Zukunft der Windkraftüberwachung
Lichtwellenleiter bieten eine neuartige Möglichkeit zur frühzeitigen Detektion von Rissen in Blattlagern. Sie ermöglichen eine lückenlose, wirtschaftliche und robuste Überwachung, die sich besonders für Anlagen im fortgeschrittenen Betriebsalter eignet. In Kombination mit modernen Analyseverfahren tragen sie dazu bei, die Betriebssicherheit zu erhöhen, Wartungskosten zu senken und die Lebensdauer bestehender Windkraftanlagen zu verlängern.
Dieser Beitrag erschien im BetreiberBrief 3–2025.
Passend zum Thema:
- Technical article, Expert knowledge04/02/2025Windenergieanlagen werden aufgrund ihrer Höhe immer wieder Ziel von vielen Blitzeinschlägen. Laut Branchenberichten wird jede Windenergieanlage statistisch ...
- Technical article, Expert knowledge14/10/2024Condition Monitoring Systeme (CMS) erkennen frühzeitig Schäden an Windenergieanlagen, minimieren Ausfallzeiten und Reparaturkosten und tragen so zur optimalen ...

© Deutsche Windtechnik
© Deutsche Windtechnik
© Deutsche Windtechnik
© Deutsche Windtechnik
