Mr. Backwell, wie war das Jahr 2020 bislang für die Windindustrie?

Ben Backwell: Wir hatten erwartet, dass 2020 mit prognostizierten 76 GW neu installierter Leistung ein Rekordjahr werden würde. Die COVID-19-Krise hat zu Unterbrechungen der Lieferketten, Verzögerungen bei Auktionen und Projekten sowie zu wirtschaftlicher Verunsicherung geführt, was sich auf die ursprüngliche Prognose negativ ausgewirkt hat.

Im Vergleich zu anderen Energiequellen, wie z. B. Kohle und Öl, bei denen während der Krise sowohl die Nachfrage zurückging als auch die Preise stark schwankten, wird die Windenergie jedoch gestärkt aus der Krise hervorgehen. Laut GWEC Market Intelligence erwarten wir lediglich einen Rückgang von 16 % im Vergleich zu unseren ursprünglichen Prognosen für dieses Jahr, und der Großteil dieser 16 % wird auf nach 2020 verschoben.

Trotz der Krise ist 2020 bislang ein eindrucksvolles Jahr für die Windindustrie, insbesondere bei OffshoreAnlagen, was den vor Corona abgegebenen Prognosen eines imposanten Wachstumsniveaus entspricht und diese sogar deutlich übertrifft. BloombergNEF gibt in seinem aktuellen Bericht an, dass im ersten Halbjahr 2020 insgesamt 35 Mrd. $ für die Offshore-Windkraftfinanzierung gemeldet wurden – ein Anstieg von 319 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Diese Investitionen ermöglichen den Betrieb von 28 Offshore-Windparks weltweit, darunter der bislang größte Windpark in den Niederlanden und 17 Projekte in China.

Ist zu erwarten, dass vor allem aufstrebende Märkte das Wachstum der Windenergie in den nächsten Jahren vorantreiben, oder wird sich das Wachstum gleichmäßig verteilen?

Ben Backwell: Aktuell sind die treibenden Kräfte für das Wachstum der Windstromerzeugung sowohl onshore als auch offshore die üblichen Verdächtigen; allerdings erwarten wir durchaus, dass in den nächsten 10 Jahren die aufstrebenden Märkte eine immer wichtigere Rolle bei der globalen Wachstumsbeschleunigung spielen. Bei der Onshore-Erzeugung sind mit mehr als 60 % der 2019 installierten Leistung China und die USA weiterhin die größten Märkte. Entscheidend für das fortgesetzte langfristige Wachstum jedoch sind das anhaltend stabile Wachstum in Europa und die sich entwickelnden Märkte in Asien, Lateinamerika und Afrika, denn die Wachstumstreiber der letzten Jahre, China und die USA, werden bis Ende 2021 die Installation neuer Anlagen abschließen.

In der Offshore-Erzeugung liegen 2019 mit 59 bzw. 41 % installierter Leistung weiterhin Europa und China an der Spitze. Es gibt aber eine ganze Reihe vielversprechender aufstrebender Märkte, z. B. Japan, Südkorea und die USA, die bis zum Ende dieses Jahrzehnts eine immer wichtigere Rolle
spielen werden. Außerdem kommen sowohl in den etablierten als auch den aufstrebenden Märkten zunehmend neue Technologien zur Anwendung, wie Hybridisierung, schwimmende Windkraftanlagen und Power-to-X, womit sich der Anteil der Windkraft und anderer Erneuerbarer an den Energiesystemen erhöht. Wenn Politik und Industrie diese neuen Möglichkeiten aktiv unterstützen, können wir die globale Energiewende deutlich beschleunigen.

Erwarten Sie, dass die aktuellen Verwerfungen in der Wirtschaft den Ausbau der Windkraft langfristig verzögern werden?

Ben Backwell: Auch wenn es in diesem Jahr zu einer Verlangsamung des Ausbaus gekommen ist, wird sich das langfristig nicht fortsetzen. Schon 2021 werden die Aktivitäten wieder zunehmen, weil in China und den USA die installierte Leistung wächst und die für 2020 geplanten Projekte gebaut werden. Es ist eine Tatsache, dass Windkraft weltweit eine erschwingliche und verfügbare Energiequelle ist, was Investoren, aber auch Öl- und Gasunternehmen zunehmend zur Kenntnis nehmen. Während der Corona-Krise haben Wind und andere Erneuerbare ihre Widerstandsfähigkeit im Vergleich zu anderen Energiequellen bewiesen, und es ist offensichtlich, dass wir für den Fall einer weiteren Krise unsere Energiesysteme nachhaltiger und weniger abhängig von fluktuierenden Preisen für fossile Brennstoffe gestalten müssen.

Allerdings erfordert dies die richtigen politischen Maßnahmen und eine passgerechte Marktgestaltung, um Investitionen in der Windenergiebranche zu fördern und gleiche Bedingungen für ein „build back better“ zu schaffen. Mechanismen, wie die Einführung einer sinnvollen Kohlenstoffbepreisung, die Umsetzung von Kriterien der Schadensvermeidung bei Investitionsplänen, der Ausbau grüner Finanzierung für die aufstrebenden Märkte, Regelungen zur Sicherung langfristiger Preistransparenz u. v. m., können für Regierungen wichtige Instrumente sein, um die Energiewende kostengünstig zu beschleunigen und gleichzeitig die Wirtschaft widerstandsfähiger zu machen.

Kann die Windenergie einen Beitrag zur globalen wirtschaftlichen Erholung leisten?

Ben Backwell: Nicht nur das – die Windenergie kann ein Eckpfeiler für einen ökologisch basierten Wirtschaftsaufschwung werden, der es Regierungen ermöglicht, kritische Infrastruktur für eine nachhaltige Zukunft zu erneuern und gleichzeitig Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen, saubere und erschwingliche Energie bereitzustellen, neue Investitionsmöglichkeiten zu generieren und Energiesicherheit herzustellen, um die Wirtschaft überall langfristig zukunftsfest zu machen.

Zunächst einmal bietet die Windenergie die Möglichkeit für riesige Anlageinvestitionen – allein von 2015 bis 2019 hat die Windenergie Investitionen von mehr als 652 Mrd. $ ausgelöst. Eine Erhöhung der installierten Leistung auf über 2 TW bis 2030 würde weitere jährliche Investitionen von 207 Mrd. $ oder über 2 Bio. $ insgesamt auslösen. Die Windenergiebranche schafft außerdem zahlreiche qualifizierte Arbeitsplätze und nützt den Kommunen; internationale Organisationen schätzen, dass sich die Zahl direkter und indirekter Arbeitsplätze in diesem Sektor von 1,2 Mio. 2019 auf fast 4 Mio. 2030 mehr als verdreifachen wird, vorausgesetzt, die Umsetzung erfolgt im notwendigen Tempo.

Letztlich haben Investitionen in Windkraft und andere Erneuerbare langfristig größere Wirkungen als Investitionen in fossile Brennstoffe. IRENA, die Internationale Organisation für erneuerbare Energien, schätzt, dass jeder in die globale Energiewende investierte Dollar eine Rendite von 3–8 Dollar
abwirft. Außerdem werden mit jeder Million Dollar, die in saubere Energieinfrastruktur investiert wird, doppelt so viele Arbeitsplätze wie im fossilen Sektor geschaffen.

Es steht außer Zweifel, dass Windkraft ein wichtiger Baustein für einen grünen Aufschwung sein kann. Allerdings müssen die Regierungen schnell handeln, um die sich durch die Windindustrie bietenden Vorteile zu nutzen. Im Mai 2020 hat der GWEC gemeinsam mit Vertretern aller großen Erstausrüster, mit Entwicklern, Zulieferern, Investoren und Verbänden eine Erklärung unterzeichnet, die die Regierungen aufruft, die Windkraft zum zentralen Punkt ihrer Pläne für einen wirtschaftlichen Aufschwung zu machen, und praktische Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen die Politik dies erreichen kann. Der vollständige Wortlaut dieser Erklärung und weitere Informationen über den Beitrag der Windkraft zu einer grünen Konjunkturbelebung sind auf der Webseite des GWEC (gwec.net) zu finden.

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