Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 29. April, die die Politik zu Nachbesserungen beim Klimaschutzgesetz verpflichtet, hat nicht nur zu einer Erhöhung des Klimaziels geführt. Sie hat auch eine längst überfällige Debatte über die geeigneten Maßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität angestoßen – von höheren CO₂-Preisen bis hin zu einem früheren Ende der Kohleverstromung. Denn klar ist: Wer die Klimaziele ernst meint, muss schon 2030 und nicht erst 2038 aus der Kohle aussteigen. Das hat jüngst auch die Internationale Energieagentur – eine der weltweit bedeutsamsten Energie-Institutionen – in einem neuen Bericht für den globalen Kontext bekräftigt: Um die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziele zu erreichen, dürfen die OECD-Länder ab 2030 keine Kohle mehr verstromen.

Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel eine formale Anpassung des Kohleausstiegsgesetzes ablehnt, stehen alle Zeichen auf einem deutschen Kohleausstieg bis 2030. Das wichtigste Signal gibt der zuletzt starke Anstieg des Preises für CO2-Zertifikate im Rahmen des Europäischen Emissionshandels von rund 27 Euro pro Tonne CO2 im Januar 2020 auf zuletzt über 50 Euro im Mai 2021. Analystinnen und Analysten rechnen damit, dass sich dieser Trend fortsetzt. Schätzungen zufolge könnte der CO2-Preis 2030 bei mindestens 75 Euro pro Tonne liegen.

 

Selbst den modernsten und effizientesten Braunkohlekraftwerken geht bei solchen Preisen die Puste aus, denn sie verlieren massiv an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber weniger klimaschädlichen Gaskraftwerken und kommen seltener zum Zug. Hinzu kommt der seit Jahren kontinuierliche Ausbau von Erneuerbaren Energien in ganz Europa. Die Folge: Allein zwischen 2015 und 2020 hat sich die Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken in der Europäischen Union bereits halbiert.

Wie lange der derzeitige Höhenflug des CO2-Preises tatsächlich anhält, ist noch nicht absehbar, da ein Teil des Anstiegs auf Preisspekulationen zurückzuführen ist. Der langfristige Trend weist jedoch eindeutig nach oben. Hauptgrund ist der von der Europäischen Union verabschiedete Green Deal, in dem sich die Mitgliedstaaten auf ein ambitionierteres Klimaziel für 2030 von 55 Prozent Treibhausgasminderungen gegenüber 1990 statt zuvor 45 Prozent geeinigt haben. Was das für die Kohle bedeutet? Die Europäische Kommission kommt hier zu einem recht klaren Ergebnis: Ohne einen europaweiten Kohleausstieg bis 2030 ist das Klimaziel nicht zu erreichen, heißt es in ihrem Impact Assessment.

Deshalb wird in Brüssel derzeit an einer Reform zahlreicher Richtlinien gearbeitet. Im Zentrum der Klimabemühungen steht eine Anpassung des Europäischen Emissionshandels. Erst kürzlich debattierten die Staats- und Regierungschef:innen im Europäischen Rat über die Zukunft des Mechanismus – zunächst ohne klares Ergebnis. Auf dem Tisch liegt eine Verschärfung des Zertifikatehandels und die Integration der Sektoren Wärme und Verkehr.

Doch selbst wenn der Europäische Emissionshandel nicht in ausreichendem Maße verschärft wird, ist mit Deutschlands neuem Klimaschutzgesetz ein schnellerer Kohleausstieg unumgänglich. Denn laut diesem verbleiben der Bundesrepublik bis 2030 ein Restbudget von lediglich 108 Millionen Tonnen CO₂ für die Energiewirtschaft. Um diese Marke nicht zu überschreiten, müssen bis dahin mindestens 70 Prozent der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien stammen, der Rest ist vorerst reserviert für Müllverbrennung und deutlich weniger CO2-intensives Erdgas. Will man diese Einsparungen erreichen, bleibt kein Platz mehr für Kohle.

Dass die Bundesregierung in der Folge nun eine Anpassung des Kohleausstiegsgesetzes vornimmt, gilt aufgrund zusätzlicher Entschädigungsforderungen der Kraftwerksbetreiber als unwahrscheinlich. Deshalb müssen mit einem Klimaschutz-Sofortprogramm nun geeignete Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, um den Ausstieg bis 2030 sicherzustellen. Dazu gehört neben einer Einführung eines nationalen CO₂-Mindestpreises zur Absicherung des Europäischen Emissionshandels auch der konsequente Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen. Auch der Strukturwandel in den Braunkohleregionen muss beschleunigt werden. Die Grundlage hierfür ist bereits gelegt: Im Rahmen des „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ stehen den betroffenen Ländern die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung. Für betroffene Kohlekumpel wurde gemeinsam mit den Gewerkschaften ein umfassendes Unterstützungspaket geschnürt, um unnötige soziale Härten zu vermeiden und – insbesondere den jüngeren Beschäftigten – Umschulungen und Weiterbildungen in zukunftsträchtige Branchen zu ermöglichen. Aktive Klimapolitik muss diesen Strukturwandel nun noch proaktiver gestalten, um die Transformation schneller in die Kohleregionen zu bringen.

Quelle: Agora Energiewende 


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