Die Rekommunalisierung des Stromnetzes ermöglicht es dem Land Berlin, in einem sensiblen Bereich der Daseinsvorsorge energie- und umweltpolitische Ziele umfassend und konsequent zu verfolgen. Eine kritische Infrastruktur von hoher Bedeutung kehrt zurück unter das Dach der öffentlichen Hand Berlins. Damit verbunden ist auch ein beachtlicher Vermögensaufbau für das Land Berlin, der Gestaltungsspielräume dafür bietet, noch nachhaltiger auf ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele hinzuwirken und die Energiewende zu beschleunigen.

Der heutigen Zustimmung gingen weitere Entscheidungen voraus. In einem ersten Schritt war erforderlich, die Teilnahme des landeseigenen Bewerbers im Konzessionsverfahren Strom, des LHO-Betriebes Berlin Energie, am Vergabeverfahren zu beenden. Dies war die Voraussetzung dafür, dass der Stromnetz Berlin GmbH der Zuschlag für eine reine Konzessionierung erteilt werden konnte. In ihrer heutigen Sitzung stimmten die Abgeordneten dem Vorhaben des Landes Berlin zu, mit der Stromnetz Berlin GmbH den in ihrem finalen Angebot enthaltenen Stromkonzessionsvertrag abzuschließen.

Damit wurde das „Konzessionierungsverfahren zur Vergabe der Wegenutzungsrechte für den Betrieb des Stromversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung im Gebiet des Landes Berlin“ nach nunmehr nahezu zehn Jahren rechtssicherabgeschlossen.

Möglich wurde dieser Abschluss, nachdem die Vattenfall GmbH als Alleingesellschafterin der Stromnetz Berlin GmbH dem Land Berlin am 23.10.2020 ein notariell beurkundetes Angebot zum Erwerb von 100 Prozent der Geschäftsanteile an der Stromnetz Berlin GmbH vorgelegt hatte. 

Nach der vorliegenden Zustimmung des Abgeordnetenhauses wird die Annahme dieses Angebotes durch das Land Berlin bereits am 23.06.2021 erfolgen; das Angebot ist bis zum 31.07.2021 bindend. Der Erwerb erfolgt durch die 100% landeseigene Gesellschaft BEN Berlin Energie und Netzholding GmbH, die als strategische Beteiligungsholding den Stromnetzbetreiber auf die Ziele des Landes ausrichten wird.

Kosten

Der Kaufpreis in Höhe von 2.063,4 Mio. Euro wird über eine Fremdfinanzierung, nämlich Kredite in Verbindung mit der Übernahme von Landesbürgschaften, umgesetzt. Hierfür werden der BEN Landesbürgschaften über insgesamt rund 1.850 Mio. Euro gewährt.

Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz:

“Mit der heutigen Zustimmung des Abgeordnetenhauses ist nun ein jahrelanges Verfahren erfolgreich abgeschlossen worden. Der Senat hat die politische Zielsetzung erreicht, das Stromnetz zu rekommunalisieren. Dem von der Vergabestelle nach objektiven Kriterien geführten Verfahren folgte eine lange rechtliche Auseinandersetzung. Ende Oktober 2020 präsentierte Vattenfall den Vorschlag, das Netz zu einem – wie sich gezeigt hat – fairen Preis an das Land Berlin zu veräußern. Es handelt sich um strategisch wichtige Infrastruktur mit erheblicher Bedeutung für das Gelingen der Energiewende. Auch die Berlinerinnen und Berliner sollen künftig die Möglichkeit haben, sich an diesem Rekommunalisierungsvorhaben zu beteiligen. Denkbar sind etwa eine genossenschaftliche Beteiligung oder auch Bürger/innenanleihen. Diese Optionen werden im nächsten Schritt geprüft und erarbeitet.”

Die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin

Die Energiegenossenschaft will erreichen, dass die Berlinerinnen und Berliner durch eine direkte Beteiligung über ihre Genossenschaft am Berliner Stromnetz mitbestimmen können, wie eine nachhaltige Energieversorgung aufgebaut werden kann und wohin die hohen Gewinne aus dem Netzbetrieb fließen. Das ist alles andere als Wunschdenken, denn auch die  rot-rot-grüne Landesregierung will, dass im Zuge einer Rekommunalisierung eine direkte Bürgerbeteiligung durch eine Genossenschaft ermöglicht wird - so steht es im Koalitionsvertrag.

Laut dem Masterplan Solarcity soll bis 2050 ein Viertel des Energiebedarfs der Stadt von den eigenen Dächern stammen. Dafür ist eine Vervierzigfachung des Solarausbaus notwendig, größtenteils auf Privatdächern der BerlinerInnen. Das wird nur möglich sein, wenn die Bürgerinnen und Bürger aktiv mit eingebunden werden. Der Netzbetreiber ist in jedes einzelne dieser Projekte involviert und muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, damit die Projekte schnell und unkompliziert umgesetzt werden können. Mit der direkten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger will die BürgerEnergie Berlin die Bedingungen so mitgestalten, dass der Masterplan Solarcity bürgernah umgesetzt wird.

Zum Hintergrund

Ende 2011 hatte die Senatsverwaltung für Finanzen als verfahrensleitende Stelle im Verfahren über die Vergabe der Konzession für das Stromnetz der allgemeinen Versorgung im Land Berlin im Bundesanzeiger sowie im Amtsblatt der Europäischen Union gemäß § 46 Abs. 3 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) das Auslaufen des Konzessionsvertrages für das Stromnetz der allgemeinen Versorgung mit der Stromnetz Berlin GmbH als Rechtsnachfolgerin der Bewag Aktiengesellschaft bekanntgemacht. Interessierte Unternehmen wurden aufgefordert, ihr Interesse am Neuabschluss des Konzessionsvertrages zu bekunden. In der Bekanntmachung teilte das Land Berlin zudem mit, dass es auch weitere strategische Handlungsoptionen, z.B. Formen einer gesellschaftsrechtlichen Einflussnahme auf das Netz bis hin zu einem vollumfänglichen Erwerb durch das Land Berlin sowie sonstige Kooperationslösungen prüfen werde. Daraufhin bekundeten mehrere Unternehmen ihr Interesse. Im weiteren Verlauf verblieben im Wettbewerb der LHO-Betrieb Berlin Energie, die BürgerEnergie Berlin eG und die Stromnetz Berlin GmbH.

Nachdem das Land Berlin mit dem Dritten Verfahrensbrief vom 29.06.2016 die Bewerber zur Einreichung verbindlicher Angebote aufgefordert hatte, gaben die genannten Bewerber bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 26.08.2016 Angebote ab. Die Stromnetz Berlin GmbH hatte sowohl ein Angebot für eine reine Konzessionierung als auch zwei alternative Kooperationsangebote (Kooperationsangebote 2016) vorgelegt. Das Land Berlin wählte auf Basis der von der verfahrensleitenden Stelle vorgenommenen Angebotsauswertung vom Februar 2019 den LHO-Betrieb Berlin Energie als besten Bieter aus. Das Angebot der BürgerEnergie Berlin eG konnte mangels hinreichender Verbindlichkeit nicht weiter berücksichtigt werden.
Die Auswahlentscheidung zu Gunsten des LHO-Betriebs Berlin Energie hob das Kammergericht mit Urteil vom 24.09.2020 auf und stellte hierbei u.a. einzelne Auswertungsfehler fest („Untersagungsverfügung im einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 EnWG“). Der Rechtsstreit in der Hauptsache ist noch vor dem LG Berlin anhängig (Az. 16 O 45/20 Kart). Mit der Bezuschlagung des finalen Angebotes der Stromnetz Berlin GmbH vom 26.08.2016 für eine reine Konzessionierung werden die Rechtsstreitigkeiten beendet.