Der Sachverhalt: Nachträgliche Abschaltzeiten zum Fledermausschutz
Die Klägerin ist eine Betreiberin von sechs Windenergieanlagen (WEA), die bereits 2006 immissionsschutzrechtlich genehmigt und seitdem betrieben wurden. Mit der Klage wendet sich die Betreiberin gegen die 15 Jahre nach Inbetriebnahme der WEA angeordneten nachträglichen Betriebseinschränkungen für drei der sechs WEA. Konkret greift die Klägerin die Untersagung des nächtlichen Betriebs der WEA für den Zeitraum Mitte April bis Ende August (nur bei bestimmten Wetterlagen) an. Grund für die nachträgliche Anordnung waren vermehrte Totfunde von Fledermäusen.
Die Klägerin rügte allem voran § 3 Abs. 2 BNatSchG als unzulässige Rechtsgrundlage für die nachträglichen Betriebsbeschränkungen. Zum anderen machte die Klägerin einen Anspruch auf eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG geltend. In beiden Punkten folgte das OVG Lüneburg mit Urteil vom 05.07.2022 (Az.: 12 KS 121/21) nicht der Rechtsauffassung der Klägerin und wies die Klage ab.
Das Urteil: OVG bestätigt Schranken des § 3 Abs. 2 BNatSchG
Gemäß § 3 Abs. 2 BNatSchG überwachen die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden die Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes (…) und treffen nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen, um deren Einhaltung sicherzustellen (…).
Bzgl. der Auslegung des Anwendungsbereichs des § 3 Abs. 2 BNatSchG bestätigte das OVG nun seine Rechtsprechungspraxis (OVG Lüneburg, v. 13.3.2019 - 12 LB 125/18): Nach Erteilung der Genehmigung fällt die Zuständigkeit zum Vollzug der öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb des Immissionsschutzrechts wieder an die Fachbehörden, die daher für spätere Anordnungen nach den
entsprechenden Vorschriften zuständig sind. Die zulässige Anwendung des § 3 Abs. 2 BNatSchG erfordere jedoch eine den Wortlaut einschränkende Auslegung. Demnach schließe eine bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung ein Tätigwerden der Naturschutzbehörde gemäß § 3 Abs. 2 BNatSchG nur dann nicht aus, wenn
die angeordneten Maßnahmen keine (Teil-)Aufhebung oder Änderung einer zuvor erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung darstellen und
- das Einschreiten sich auf nachträglich eingetretene Umstände beschränkt.
Diese Bedingungen sah das OVG im gegenständlichen Fall als erfüllt an.
Das Urteil: § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG erfordert Alternativlosigkeit der Ausnahme
Des Weiteren bestätigte das OVG Lüneburg die Auffassung der Beklagten, dass die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 47 Abs. 7 S. 2 BNatSchG nicht vorliegen.
Zugunsten einer Ausnahme hatte die Klägerin im Verfahren angeführt, dass die klimafreundliche Energieerzeugung im zwingenden öffentlichen Interesse liegt und dahingehend die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG und die Klimabeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen seien. Dem Widersprach das OVG nun unter Verweis auf das strickt beachtliche Vermeidungsgebot des § 47 Abs. 7 S. 2 BNatSchG ausdrücklich. Diesem könne nur entsprochen werden, wenn die Ausnahme alternativlos ist.
Gerade diese Alternativlosigkeit sah das OVG als nicht gegeben an. Die von der Klägerin angeführten Erwägungen des BVerfG im Rahmen seiner Klimabeschlüsse seien unbeachtlich, weil die in § 47 Abs. 7 S. 2 BNatSchG erforderliche Alternativlosigkeit einer Abwägung – und damit klimaschutzfreundlichen Erwägungen – nicht offen stehe. Das OVG verwies die Klägerin stattdessen auf Standortalternativen oder die Nutzung bereits bestehender WEA in der Region, um die Minderung des Anlagenertrages von 3 % auszugleichen.
OVG Lüneburg spricht sich gegen eine Sonderrolle der EE aus
Damit ist dieses Urteil – nach dem Beschluss vom 21.04.2022 (unser Newsbeitrag vom 16.05.2022) - eine weitere Entscheidung des OVG Lüneburg, indem das Gericht nicht bereit ist, Erwägungen des Klimaschutzes vornan zu stellen. Insbesondere die Klimabeschlüsse des BVerfG lässt das OVG nicht als Freifahrtschein für Erneuerbare Energien gelten. Ganz im Gegenteil betont das OVG ausdrücklich, dass im Bereich der Erneuerbaren Energien für die Alternativenprüfung des § 45 Abs. 7 S. 2 die allgemein anerkannten Maßstäbe gelten müssten – einer Sonderrolle der Erneuerbaren Energien erteilt das OVG folglich eine eindeutige Absage. Dies bedeutet einen klaren Rückschritt in Puncto klimafreundliche Rechtsprechung. Gerade in Zeiten, die neben dem Klimawandel durch die Energie- und Versorgungskrise geprägt sind, sollte der Grundsatz der Klimabeschlüsse des BVerfG in jeder einzelnen Gerichtsentscheidung zum Tragen kommen: Es kommt auf jede einzelne WEA an – und damit logischerweise auch auf jedes ins Netz eingespeiste Megawatt.
Das BVerfG und die Gesetzgeber sind gefordert
Somit bleibt es dabei, dass die Hoffnung auf fortschrittliche Klimarechtsprechung in Deutschland weitestgehend auf das BVerfG beschränkt ist. Urteile wie das des OVG Lüneburg tragen aktiv dazu bei, dass die Energiewende und der Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht im erforderlichen Tempo voranschreiten. Anlagenbetreiber:innen könnten in der Folge gut beraten sein, nachträgliche Betriebseinschränkungen in wirtschaftlicher Hinsicht einzukalkulieren.
Auch der Gesetzgeber sollte dies zum Anlass nehmen, weiter nachzujustieren: Das OVG Lüneburg führt ausdrücklich an, dass sich die Klimabeschlüsse des BVerfG nur auf der Rechtsfolgenebene im Rahmen der Abwägung auswirken. Angesichts dessen kann die Lösung nur sein, auf der vorgelagerten Tatbestandsebene entsprechende Änderungen (zu Gunsten der Erneuerbaren Energien) vorzunehmen. Wie das geht, hat ausnahmsweise Sachsen gezeigt: Dort wurde mit § 20 Abs. 3 S. 1 Sächsisches Landesplanungsgesetz das Zielabweichungsverfahren nach § 6 Abs. 2 ROG auf Tatbestandsebene vereinfacht – ausdrücklich „zur Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen“.